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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ihr die Möglichkeit zu geben, sich von einer schweren emotionalen Bürde zu befreien. Wenn das stimmte, so war sie ihr dankbar dafür.
    Fast zehn Minuten lang sprach sie, und jedes Wort verringerte die Last, die sie in sich getragen hatte. Tränen brannten zum Schluss in ihren Augen, und durch ihren feuchten Schleier sah sie, wie Cora an sie heranrückte und sie umarmte, jene Cora, die befürchtet hatte, dass man sie nicht lieben konnte.
     
Xandor ·  4. Planet des Mirlur-Systems
Zentraler Sektor des Konsortiums
7. September 301 SN ·  linear
     
    »Wie geht es ihm?«, fragte Lidia und sah aus dem Fenster zum See.
    »Nicht sehr gut«, kam die Stimme ihrer Mutter aus der nahen Küche. Sie bereitete das Abendessen vor, mit echten Lebensmitteln, keinen synthetischen. Das war typisch für Lidias Eltern. Sie zählten zu den Nonkonformisten auf Xandor, und wo es die Umstände zuließen, verzichteten sie ganz bewusst auf moderne Technik wie zum Beispiel Syntho-Geräte, die aus organischem Basismaterial innerhalb weniger Minuten fertige Speisen schufen. Dass sie die Hauptstadt Fernandez verlassen und sich an diesem abgelegenen Ort niedergelassen hatten, bot einen weiteren Hinweis auf ihre Lebensphilosophie, die das Einfache, Überschaubare dem Komplexen vorzog. »Er kann nicht mehr schreiben. Manchmal zwingt er sich dazu, aber die Resultate reichen nicht annähernd an seine früheren Romane heran.« Carmellina Diaz blickte durch die Tür. »Lass dir bitte nichts anmerken. Dadurch würde es für ihn noch schlimmer.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    Roald DiKastro saß unten im kleinen Bootshaus am Ufer des zugefrorenen Sees. Auf dem Weg, der zwischen den Bäumen am Hang hinabführte, zeigten sich seine Fußabdrücke im Schnee. Rauch kräuselte aus dem Schornstein des Bootshauses – Roald hatte ein Feuer im Kamin angezündet.
    »Kommt ihr zurecht?«, fragte Lidia in plötzlicher Sorge und sah noch immer nach draußen, zum verschneiten Bootshaus und dem Eis des Sees.
    »Oh, wir brauchen nicht viel.« Töpfe klapperten in der Küche. »Seine letzten Bücher verkaufen sich noch immer, und ich kann gelegentlich bei Konzerten auftreten. Hinzu kommt mein Gehalt vom Konservatorium. Hilfst du mir bei den Bohnen?«
    »Ja, natürlich.«
    Lidia wandte sich vom Fenster ab und betrat die Küche des kleinen Hauses, das aus Stein und Synthomasse bestand, sich im Wald an den Hang schmiegte. Im Sommer war es hier recht hübsch; manchmal wurde das Wasser des Sees sogar warm genug, dass man darin baden konnte. Aber der Sommer dauerte nicht lange auf Xandor, wich schnell einem endlosen Winter. Eigentlich hatte dieses Haus eine Art Refugium sein sollen, ein Zufluchtsort, der Schutz bot vor dem Stress des Alltags in der Hauptstadt Fernandez. Aber vor einigen Jahren hatte Roald begonnen, sich immer mehr aus dem Leben der Stadt hierher zurückzuziehen, und Carmellina opferte ihre eigenen beruflichen Möglichkeiten, um bei ihm zu bleiben, ihm mit ihrer Präsenz zu helfen. Inzwischen dauerte Roalds kreative Krise schon fast ein halbes Jahrzehnt, und ein Ende war nicht in Sicht.
    Während Lidia die Bohnen schnitt – ein wenig ungeschickt, wie sie zugeben musste; sie war nicht an Küchenarbeit gewöhnt –, erzählte ihre Mutter von den Ereignissen der vergangenen Monate. Aus reiner Höflichkeit versuchte sie, aufmerksam zuzuhören, aber ihre Gedanken glitten immer wieder fort. Sie kannte die finanzielle Situation ihrer Eltern nicht genau, wusste die Hinweise aber zu deuten. Die Lage war ernst, und sie schien in letzter Zeit noch ernster geworden zu sein. Trotzdem hatten Roald und Carmellina ihre  Tochter nach Tintiran geschickt und sie dort studieren lassen. Lidia ahnte, welche Opfer sie dafür gebracht hatten, und Dankbarkeit erfüllte sie. Als sie die Bohnen geschnitten und in den Kochtopf gegeben hatte, umarmte sie ihre Mutter, und eine Zeit lang standen sie so da, eng umschlungen, ohne ein Wort zu sagen.
    »Du bist gekommen, um dich zu verabschieden, nicht wahr?«, fragte Carmellina und wandte sich wieder dem Herd zu. Sie war fast sechzig, doch es zeigten sich keine grauen Strähnen in ihrem pechschwarzen Haar. Sie gehörte zu den Frauen, denen eine klassische Schönheit zu Eigen war – sie wurde älter, aber sie verlor dabei kaum etwas von ihrer weiblichen Eleganz.
    »Ja.«
    »Das dachte ich mir.« Und dann erzählte sie wieder von anderen Dingen, vielleicht um sich selbst abzulenken. Lidia gab Anekdoten von der Akademie auf Tintiran zum

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