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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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von fundamentaler Bedeutung für alle Kantaki. Aus den vielen Vorträgen des Akuhaschi Hrrlgrid wusste Lidia, dass die Kantaki in einer Gesellschaft lebten, die nach menschlichen Maßstäben anarchisch war. Nichts verpflichtete individuelle Kantaki, sich den Entscheidungen der Großen Fünf zu unterwerfen, aber sie alle achteten den Sakralen Kodex, der mehr für sie darstellte als eine existenzielle Philosophie – für die Kantaki war der Kodex eine spirituelle Kraft, die ihnen Leben gab, und ihrem Leben einen Sinn. Lidia hatte gerade erst damit begonnen, die komplizierten Zusammenhänge zu erahnen, und sie war entschlossen, mehr zu lernen und zu verstehen.
    Sie erreichten einen Korridor, und dort setzte sie das Kraftfeld ab. Lidia spürte eine weitere Veränderung, stärker als die erste. Die Struktur der Raum-Zeit um sie herum erfuhr einen profunden Wandel, und damit einher ging Desorientierung. Der Korridor vor Lidia wurde länger und verdrehte sich korkenzieherartig – aus oben wurde unten, aus rechts wurde links. Die Wände blähten sich auf, und als sich Lidia bewegte, begannen sie zu pulsieren, im Rhythmus ihres Herzschlags, immer schneller …
    Floyd legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Schließ die Augen«, sagte er, und sofort senkte sie die Lider. »Beim ersten Mal ist es mir nicht anders ergangen. Konzentrier dich auf die Gabe, so wie du es gelernt hast. Lass dich von ihr leiten. Hab Vertrauen.«
    Lidia horchte in sich hinein und vernahm das vage Flüstern der Gabe, ein Raunen, das sie an die fernen Stimmen der Heiligen Worte erinnerte. Sie konzentrierte sich darauf, ließ das Wispern anschwellen, bis es laut in ihrer inneren Welt widerhallte, dann öffnete sie die Augen wieder.
    Noch immer verschoben sich die Dimensionen, aber jetzt hatte dieser spezielle Aspekt ihrer Umgebung nichts Verwirrendes mehr für Lidia.
    »Na bitte«, sagte Floyd so zufrieden, als hätte er den Vorgang in allen Einzelheiten beobachtet. »Es ist eigentlich ganz einfach.«
    Sie schritten durch den Korridor, der erneut länger zu werden schien, aber diesmal fühlte sich Lidia als Teil dieses Vorgangs, der mit jeder verstreichenden Sekunde vertrauter wurde.
    Sekunden …
    Wie in der Pagode gewann Lidia den Eindruck, am Ufer des Zeitstroms zu stehen und zu beobachten, wie alles aus der Vergangenheit in die Zukunft schwamm, durch den zeitlosen Moment der Gegenwart, durch die Illusion des Jetzt. Zusammen mit Floyd bewegte sich Lidia in einer von gewöhnlicher Zeit unberührten Welt, und erneut bemerkte sie die Sicherheit, mit der der Alte einen Fuß vor den anderen setzte.
    »Wie findest du dich hier zurecht?«, fragte sie.
    Floyd lachte leise. »Meine Augen sind zwar blind, aber ich sehe mit dem Geist. Du wirst bald verstehen, was ich meine.«
    Sie setzten den Weg durch das Kantaki-Schiff fort, und Lidia versuchte, so viele Eindrücke wie möglich aufzunehmen. Sie kamen an summenden Aggregaten vorbei, die wie hoch aufragende Orgeln wirkten, an mehrere Stockwerke hohen Maschinenblöcken, die den hyperdimensionalen Raum im Inneren des Schiffes zu krümmen schienen. Akuhaschi arbeiteten an Servosystemen und prüften die Datenkolonnen auf Displays, die in einigen Sälen vom Boden bis zur Decke reichten. Auf einem der Bildschirme sah Lidia den Raumhafen, auf einem anderen Bellavista. Andere Darstellungsbereiche schwebten frei im Raum und zeigten komplexe Darstellungen des Alls.
    »Um die technischen Einzelheiten des Schiffes brauchst du dich nicht zu kümmern«, sagte Floyd. »Deine Aufgabe besteht allein darin, es an den Fäden entlang zu steuern.«
    »Und du?«, fragte Lidia, als ihr plötzlich etwas einfiel: Ein Kantaki-Schiff brauchte nur einen Piloten, nicht zwei.
    »Du wirst meine Nachfolge antreten«, erwiderte Floyd ruhig. »Ich bin müde geworden.«
    »Wie lange bist du schon Pilot?«
    »Seit über dreihundert Jahren«, sagte Floyd, und Lidia hörte dabei eine gewisse Wehmut in seiner Stimme. »Mein erster Flug fand noch während der Epoche des Chaos nach dem Zeitkrieg statt. Ich konnte miterleben, wie die Kantaki zahlreiche Anomalien in die Raum-Zeit reintegrierten. An Bord einer Kantaki-Kapsel bin ich damals auf einem Planeten gewesen, der in der Zeit gefangen war.«
    »Tylea?«
    »Du hast davon gehört? Ja, Tylea, eine Welt der Mantai mit einer Kolonie der Menschen. Die Zeit verging dort so langsam, dass eine Sekunde auf Tylea fünf unserer Jahre dauerte – eine Auswirkung des Sporns, den die Kantaki und Feyn damals

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