Kantaki 02 - Der Metamorph
Masse: Staub, so fein, dass er fast die Eigenschaften einer Flüssigkeit bekam. Wieder konnte Eklund auf Informationen zugreifen, die unmöglich aus dem eigenen Gedächtnis stammen konnten, aber er akzeptierte sie einfach, ohne sie infrage zu stellen. Der Rumpf des Schiffes war geteilt und bestand aus mehreren schmalen, keilförmigen Auslegern, die im Staub versanken und dünne Furchen darin hinterließen, die sich aber nach wenigen Sekunden wieder füllten. Das Schiff musste in Bewegung bleiben, um nicht in der grauen Masse zu versinken, und selbst während der Fahrt war es auf die Ballons der Lastdezimierer angewiesen, die mit Helium gefüllt über den Lastbügeln hingen und durch ihren Zug nach oben das relative Gewicht des Schiffes verringerten.
Weitere Schiffe huschten über den Staubozean, große, massig anmutende Gebilde aus Biofasern und Synthomasse. Männer und Frauen eilten hin und her, zogen an Leinen, kontrollierten die Segel und bereiteten Apparate vor, die an Katapulte erinnerten.
»Dies ist meine Familie«, sagte eine junge Frau neben Eklund. »Ich bin Tantary.«
Auch diese Züge hatte Eklund gesehen, in Raimons Gesicht.
»Er ist in Sicht, er ist in Sicht!«, ertönte es hoch oben von einem Mast. »Er kommt nach oben, nach oben!«
Eklund beugte sich über die Reling, sah nach vorn und beobachtete, wie etwas aus dem Grau kam: ein Leib, ein gewölbter Rücken, von Knochenkämmen durchzogen.
»Der Staubmoloch taucht auf!«, ertönte es, und von den anderen Schiffen kamen akustische Signale: Anweisungen, bestimmte Manöver zu fahren. Die Männer und Frauen an den Katapulten entfalteten hektische Aktivität.
»Ich bin Tantary«, wiederholte die Frau neben Eklund, ohne auf die rege Betriebsamkeit hinter ihr zu achten. »Halbschwester des Großen Ikahan, der mit zwanzig Flößen über den Staubozean von Drankor segelt, aber ich weiß, dass ich auch noch jemand anders bin, ich warte und andere warten in mir, ich höre ihre Stimmen, sie wollen leben, leben wie ich, sie… wollen… leben…«
Es waren die gleichen Worte, die Raimon bei der Befragung gesprochen hatte, und Eklund sah Schmerz in Tantarys Gesicht. Es tut so weh, flüsterte Raimons Erinnerungsstimme.
»Sie wollen leben«, wiederholte die Frau namens Tantary, und ihr Gesicht verwandelte sich in eine schmerzerfüllte Grimasse. » Leben! «
Von einer Sekunde zur anderen toste ein Sturm, mit so heftigen Böen, dass sich Eklund ducken und an der Reling festhalten musste. Die Segel des Schiffes zerrissen, die Masten splitterten, die Aufbauten zerbarsten… Alles löste sich auf in einem Mahlstrom der Zerstörung. Eklund verlor den Halt, und der Wind, der gar kein Wind war, schleuderte ihn durchs Elysium. Jemand folgte ihm durch das Chaos, eine Gestalt an seiner Seite, und er wusste, wer es war.
Ich bin ich, flüsterte es von Raimon, eine geistige Stimme, von Qualen begleitet. Ich bin wir. Wir sind ich. Ich bin tausend. Ich bin zahllos…
Hinter diesem Flüstern gab es eine zweite Stimme, die nicht Raimon gehörte, ein so leises Raunen, dass Eklund sich ganz darauf konzentrieren musste, um es zu verstehen.
Töte, töte, töte…
Nein, flüsterte die erste Stimme. Nein, ich will nicht töten. Wir alle wollen leben… leben… leben…
Töte, töte, töte!
Eklund stürzte durch fremde Welten. Zuerst gelang es ihm noch, Einzelheiten zu erkennen – purpurne Meere voller Geschöpfe, die sich durch ätherische Schönheit auszeichneten; die Metropolen von Planeten, die vor dreitausend Jahren besiedelt worden waren, während der ersten großen Emigrationswelle, gewaltige urbane Konglomerate mit unzähligen horizontalen und vertikalen Verkehrskorridoren, die Eklunds Orientierungsvermögen weit überforderten; Habitatmodule auf Eiswelten; feste Großplaneten mit einer Schwerkraft, die nur genveränderte Neue Menschen aushalten konnten; hier und dort temporale Anomalien, die an den Zeitkrieg erinnerten und von den Zeitmechanikern der Kantaki noch nicht reintegriert worden waren… Und Dutzende, hunderte, tausende von anderen Welten und Orten, die bald so schnell aufeinander folgten, dass die Details ineinander übergingen, zu einem bunten Wogen miteinander verschmolzen. Überall gab es Raimon-Personen, Selbstfragmente mit Erinnerungen und Wünschen, mit Hoffnungen und Sehnsüchten, dazu bestrebt, sich zu entfalten und zu leben.
Bisher hatte Eklund die Einheit seiner Persönlichkeit bewahren können, aber der Sturz durch die Welten zerrte mit immer
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