Kantaki 02 - Der Metamorph
Konfrontation. «
»Ach, das.« Eklund winkte ab. »Er hielt nichts von der Präsenz eines Kindes in der Höhle des Mandalas, unseres heiligsten Ortes.«
»Er hat den Jungen zu Boden gestoßen.«
»Raimon verlor das Gleichgewicht und fiel, ja. Aber…«
»Einige Brüder und Schwestern wollen bei jener Gelegenheit Zorn im Gesicht des Jungen gesehen haben.«
»Halten Sie es vielleicht für möglich, dass Raimon Bruder Xalon getötet hat? Das ist doch absurd! Xalon war ein Neuer Mensch und stammte von einer Welt mit doppelter Normschwerkraft. Er war überaus kräftig. Und sehen Sie sich Raimon an. Wie könnte er jemanden wie Xalon überwältigen?«
»Wo war er, als Xalon starb?«
Eklund hatte mit dieser Frage gerechnet. »Bei mir«, log er.
»Man hat den Jungen nicht bei Xalons Höhle gesehen. Warum sind Sie allein zu Ihrer nächtlichen Wanderung aufgebrochen?«
»Warum sollte ich Raimon wecken? Ich wusste nicht, dass jemand gestorben war. Ich habe den Jungen schlafen lassen.«
Raimon hatte bisher still dagesessen, völlig reglos, doch jetzt kam Bewegung in ihn. Er neigte den Oberkörper von einer Seite zur anderen, sah erst Eklund an und dann nacheinander die beiden Sekuritos. »Ich kann sprechen«, sagte er.
Der ältere Sekurito hob die Brauen. »Sie haben doch gesagt, dass er nicht spricht.«
»Bisher hat er nicht gesprochen«, sagte Eklund. »Körperlich hat er sich gut erholt. Vielleicht kommt auch seine geistige Genesung voran.«
»Nun, Raimon… Ist dir in der vergangenen Nacht etwas aufgefallen?«
Eklund spürte, wie seine Anspannung immer mehr zunahm. Sie wies ihn auf die Fragen hin, die er sich nicht zu stellen wagte, auf einen schrecklichen Verdacht, den er nicht in Worte fassen wollte, nicht einmal sich selbst gegenüber.
Der Junge schwieg. Er sah zum älteren der beiden Uniformierten auf und gab keinen Ton von sich, während sein Gesicht seltsam leer blieb.
»Hast du irgendetwas bemerkt?«, fragte der ältere Sekurito. Der Jüngere beschränkte sich jetzt auf die Rolle des passiven Zuhörers und Beobachters.
»Ich kann sprechen«, sagte Raimon.
»Ja, darauf hast du bereits hingewiesen«, erwiderte der Sekurito geduldig. »Wir möchten von dir wissen, ob du während der vergangenen Nacht irgendwelche ungewöhnlichen Dinge bemerkt hast.«
Eklund drehte sich halb auf dem Stuhl und fühlte den alten Schmerz im Rücken.
»Ich kann sprechen«, wiederholte der Junge noch einmal, und dann schien sich sein Gesicht in ein Darstellungsfeld zu verwandeln. Die Züge veränderten sich, als lägen verschiedene Gesichter wie Folien übereinander, die nach und nach fortgezogen wurden.
»Ich bin ich«, sagte Raimon mit einer Stimme, die Eklund nie zuvor gehört hatte. »Ich bin… Anita und arbeite bei den Trapezen von Hulkland, ich hatte einen Kontrakt mit einem Mann, er hat ihn nicht erneuert, aber das spielt keine Rolle, er hat nie erfahren, wer ich wirklich bin, wer bin ich wirklich, ich träume und wache, und ich warte, ich warte darauf, dass sich meine Bestimmung erfüllt, der Zweck meines Daseins…«
Der jüngere Sekurito hatte die Augen aufgerissen. Der Ältere reagierte etwas gefasster, machte aber ebenfalls keinen Hehl aus seiner Verblüffung. Beide sahen die Frau in Raimons Gesicht und hörten ihre Stimme.
Bei der Weltseele, wer bist du?, dachte Eklund.
Wieder veränderte sich das Gesicht des Jungen. »Ich bin Raol der Träumer, so nennen sie mich, weil ich von Dingen erzähle, die die anderen nicht kennen, es sind seltsame Dinge, ich kann nicht kontrollieren, wann ich sie sehe und wann nicht, manchmal erscheinen sie mir einfach so, und manchmal tun sie weh… «
Raimon stand auf. Er ließ Schultern und Arme hängen, aber die Hände waren zu Fäusten geballt.
Eine weitere mimische Schicht löste sich ab, und Raimons junges Gesicht zeigte die Züge eines älteren Mannes. Selbst die Augen schienen sich ein wenig zu trüben. »Ich bin Bertram und arbeite in einem Kreativen Kreis an der Programmierung von Anderswelten, aber ich weiß, dass ich nicht für immer Bertram sein werde, ich warte auf das Signal, und wenn es eintrifft, wird Bertram sterben und jemand anders geboren, ich bin Emmili und fliege, wie schön, die Flügel auszubreiten und zu fliegen, umschmeichelt vom Druck so tief im Innern des Gasriesen…«
Das Gesicht wirkte zart und spröde, zerbrechlich und fragil, das Gesicht eines Neuen Menschen.
»Ich… ich… ich bin Tantary, Halbschwester des Großen Ikahan, der mit zwanzig
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