Kantaki 02 - Der Metamorph
besondere Festigkeit in seiner Stimme wahr. »Das ist meine Aufgabe. Was in der Zitadelle geschah… Ich glaube nicht, dass Raimon irgendeine Schuld trifft.«
»Glaubst du es nicht, oder willst du es nicht glauben?«
» Wie sollte er Xalon getötet haben?«
»Er ist fort gewesen.«
»Und er kehrte zurück. Was beweist das schon? Gar nichts.«
»Schon gut, Eklund, ich spiele nur den Advocatus Diaboli.« Elisabeth bemerkte den verwunderten Blick des Alten und fügte hinzu: »Ich trage die Argumente der Gegenseite vor.« Sie seufzte einmal mehr, trank einen Schluck Aromakaffee und setzte die Tasse ab. »Raimon hat Untergewicht. Kräftig ist er gewiss nicht. Zwei erwachsene Männer zu töten, noch dazu einen Neuen Menschen von Durant…« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe den Jungen im Elysium gesehen«, sagte Eklund und klang dabei wie ein trauriger Vater. »Etwas steckt in ihm, etwas Finsteres, das ihm Schmerzen bereitet und von dem er sich befreien möchte. Er hofft, dass ich ihm helfen kann. Ich dachte, du könntest vielleicht…«
»Ich bin keine Psychotherapeutin oder Spezialistin für Psychiatrie. In der Zentralklinik von Chiron gibt es Leute, die sich mit geistigen Problemen aller Art gut auskennen. Wenn es sich um einen Fall von multipler Persönlichkeit handelt, so ist dort vielleicht eine Behandlung möglich. Ich könnte meine Beziehungen spielen und den Jungen einweisen lassen, mit Hinweis auf einen ganz besonderen Fall.«
Eklund zögerte und lauschte erneut dem Pochen der Regentropfen. Es klang fast wie eine Melodie.
»Nein«, sagte er dann. »Ich möchte auf jeden Fall vermeiden, dass er noch einmal von den Sekuritos vernommen wird.«
Auf der anderen Seite des Tisches lehnte sich Elisabeth in ihrem Sessel zurück und musterte Eklund nachdenklich.
»Warum?«
»Wenn sich sein Gesicht noch einmal auf so seltsame und unheimliche Weise verändert… Die Sekuritos könnten auf den Gedanken kommen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Und wenn sie den wahren Mörder nicht finden, suchen sie vielleicht einen Sündenbock. Wir kennen ihre Methoden, Elisabeth.«
»Ja«, sagte die Ärztin leise. Sie hatte mehrmals Patienten behandeln müssen, die von Sekuritos »verhört« worden waren. »Aber das ist nicht dein einziges Motiv, oder? Sei ganz offen, Eklund. Du hast die Zitadelle verlassen, um mich um Hilfe zu bitten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Du bist auch – und vielleicht vor allem – aufgebrochen, um zu vermeiden, dass sich das Interesse der Sekuritos Raimon zuwendet. Du glaubst nicht, dass er der Mörder ist. Aber hältst du es für möglich, das er irgendetwas mit dem Tod von Xalon und Conrad zu tun hat?«
Eklund öffnete den Mund, schloss ihn wieder und horchte in sich hinein, auf der Suche nach der Wahrheit. Wenn er jetzt zurückblickte… Sein ganzes Leben lang hatte er auf etwas gewartet, auf jemand, auf ein Ereignis, auf einen wirklich bedeutsamen Moment, auf einen Wind, der den Staub des Unwesentlichen fortwehte und ihm Relevanz zeigte, den Sinn von allem. Er fühlte sich diesem Ziel ganz nahe, und Raimon – das hatten ihm die Steine gezeigt – stand damit in einem direkten Zusammenhang. Er musste beschützt werden, um jeden Preis. Und es spielte keine Rolle, was er in der Zitadelle getan hatte oder nicht.
Dieser letzte Gedanke erstaunte Eklund und nahm ihm einen Teil der Last, die auf seinem Gewissen ruhte. Der Auftrag der Weltseele – an die er nicht nur glaubte; er wusste um ihre Existenz, was auch immer Elisabeth davon halten mochte – war wichtiger als alles andere. Es galt, Gefahr von Raimon abzuwenden, bis… Bis was geschah? Die Antwort rückte in Reichweite, und Eklund öffnete sein Selbst dem Elysium, um danach zu greifen…
Etwas berührte ihn, wie die Hand einer Frau, die ihn einmal gestreichelt hatte, vor vielen Jahren. Dann kratzte es, und die Hand – wenn es eine Hand war – wich abrupt fort, zerfetzte dabei die Antwort und ließ ihre Fragmente fortwirbeln, erfasst von einem Wind, der im Elysium oft dort zu wehen schien, wo sich Raimon befand.
Raimon…
Eklund stand abrupt auf. »Der Junge! Er ist wach und…«
Elisabeth reagierte, noch bevor er Gelegenheit bekam, den Satz zu beenden. Sie war schnell auf den Beinen, lief los, riss die Flurtür auf, eilte durch den Korridor, öffnete die Tür des zweiten kleinen Schlafzimmers…
Eklund folgte der Ärztin und blickte über ihre Schulter, als sie in der Tür verharrte. Nur die Kleidung des Jungen lag auf dem
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