Kantaki 02 - Der Metamorph
unergründliche schwarze Tiefe.
Vater Brrin
Munghar
Urirr-System
E IN Z ITTERN IN DER Z EIT
Etwas weckte Vater Brrins Aufmerksamkeit, und er begriff, dass sich sein Denken und Fühlen erneut in einer Art Stupor verloren hatte. Seit einiger Zeit geschah das immer öfter, ein deutlicher Hinweis auf geistigen Verfall. Sein langes Leben, so wusste er, neigte sich dem Ende entgegen, und er beschloss, nach einem Nachfolger Ausschau zu halten. Doch zuerst… Was hatte sein Selbst aus der Starre gelöst?
Der alte Kantaki sah durch die mentalen Linsen, die er mithilfe des Nährpilzes formte, blickte in den Kanal und von dort aus ins Universum und den Transraum. Grenzen gab es keine. Alle Galaxien und Galaxienhaufen lagen vor ihm ausgebreitet, Sterneninseln mit myriadenfachem Leben, jeder einzelne Organismus Ausdruck des Materie gewordenen Geistes. Brrin spürte die Präsenz der anderen Zeitwächter, die ständig wachten, immer auf der Suche nach Anzeichen von temporaler Manipulation. Wo und wann auch immer: Die Zeit musste unberührt bleiben, denn Experimente mit ihr konnten dem in ferner Vergangenheit gefangenen Feind Gelegenheit zur Rückkehr geben.
Brrin fand es seltsam, dass außer ihm niemand etwas bemerkt zu haben schien. Hatte er sich getäuscht? Bescherte ihm die Vergreisung gar erste Halluzinationen? Er beobachtete das Gewebe der Zeit: glatt und gleichmäßig, nirgends krause Stellen, die auf manipulativen Einfluss hindeuteten.
Trotzdem spürte Brrin, dass sich etwas anbahnte. Vielleicht versetzte ihn seine große Erfahrung in die Lage, es als Erster zu fühlen.
Und zu hören: ein Raunen, das aus der Vergangenheit kam und im Jetzt auf etwas traf, auf das Äquivalent eines wartenden Ohrs. So etwas wie ein Echo erklang, und darauf konzentrierte sich Vater Brrin. Seine Gedanken eilten durch den Kanal in den Transraum und folgten dort dem Verlauf eines Fadens, der zum Ort des Echos führte. Diese Galaxis… Ein von Menschen besiedelter Planet, Kerberos genannt.
Plötzlich wurde aus dem Raunen in der Zeit lautes Kreischen und Heulen, und Brrin schreckte zurück. Der Transraumfaden vibrierte immer heftiger, neigte sich von einer Seite zur anderen, so wie der Trichter über dem Kanal.
Brrin krümmte die Gliedmaßen, die er noch bewegen konnte, schob die Schutzmembranen vor die multiplen Augen und erbebte am ganzen Leib, so heftig, dass mehrere Kehrer von seinem Rückenschild fielen. Er sah nicht, dass einige der jüngsten Zeitwächter ihre Buckel verließen, und er blickte auch nicht mehr durch die Linsen – er war in Schmerz gefangen.
Als die Qual schließlich nachließ, herrschte Stille, sowohl um ihn herum, als auch in der geistigen Welt. Brrin öffnete die Augen und sah Mutter Krsah, eine der Großen Fünf.
»Was ist geschehen?«, fragte sie sanft. »Die anderen konnten es mir nicht erklären. Sie haben so etwas nie zuvor wahrgenommen.«
Brrin richtete sich mühsam auf. »Ein Splitter des Abissalen«, klickte er. »Lange Zeit hat er geschlafen, halb besiegt. Aber jetzt erwacht er. Und es gibt eine Verbindung zu den Temporalen.«
Das genügte. Mutter Krsah begriff sofort das ganze Ausmaß der Gefahr. Ein Splitter des Abissalen konnte den Schild des Null sprengen und die Temporalen befreien. Dann bekamen sie Gelegenheit, erneut mit ihrer Zeitflotte aufzubrechen, sie und die Renegaten-Kantaki.
»Wo?«, fragte Mutter Krsah.
»Eine Menschenwelt«, antwortete Vater Brrin. »Kerberos.«
Er gab der Schwäche nach, sackte in sich zusammen. Mutter Krsah berührte ihn kurz, drehte sich dann um und eilte fort.
Einen Munghar-Tag später starteten fünf große Schiffe, größer als die meisten schwarzen Kolosse der Kantaki. Sie brachen ohne Transportblase auf, und im Transraum verbanden ihre Piloten sie mit dem Faden, der nach Kerberos im fernen Hades-System führte. Im Gegensatz zu allen anderen Schiffen der Kantaki waren diese bewaffnet: Jedes von ihnen trug in seinem hyperdimensionalen Innern eine Komponente der energetischen Matrix des Sporns.
21 Dunkle Rufe
Kerberos
16. April 421 SN
20:43 Uhr
»Ich habe ihm ein starkes Beruhigungsmittel gegeben«, sagte Elisabeth, als sie aus dem Ruhebereich ihrer Wohnung zurückkehrte und die Flurtür schloss. »Der Junge schläft jetzt.«
Eklund stand am breiten Fenster des Wohnzimmers, neben der Balkontür, und nickte, als er in die Nacht hinausblickte. Das Unwetter war weitergezogen; seine Blitze flackerten jetzt über dem Kontinentalwald.
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