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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Beine, die Haut wie dickes, altes Leder.
    »Was machst du denn hier?«, fragte Lorgard erstaunt und betrat das Wohnzimmer. Ihm fiel ein, dass die Apartmenttür geschlossen und gesichert war. »Und wie bist du hereingekommen?«
    Er ging um die Gestalt herum und sah in die beiden großen Augen, die starr geradeaus blickten. Das Licht spiegelte sich in ihnen wider, aber Lorgard glaubte, auch noch etwas anderes zu erkennen, ein seltsames Glühen.
    Der Adlatus antwortete nicht, stand einfach nur da. Von seinem sonderbaren Verhalten einmal abgesehen… Irgendetwas an ihm wirkte fehl am Platz. Erstaunlicherweise brauchte Lorgard mehrere Sekunden, um den fremden Faktor zu identifizieren. In dem Gesicht mit der auf die Wahrnehmung von Schmutzpartikeln und toxischen Substanzen spezialisierten Nase zeigte sich Schmerz.
    Das Geräusch, das er für ein Knarren gehalten hatte… Es war ein leises, dumpfes Stöhnen.
    »Es tut so weh«, sagte der Adlatus mit einer Stimme, die Lorgard nie zuvor von ihm gehört hatte.
    Lorgard wich einen Schritt zurück, und eine Ahnung regte sich in ihm, begleitet von Entsetzen und Kummer. Dies war sein Geschöpf. Nicht der Adlatus, der im Apartment für Sauberkeit sorgte, sondern…
    Die Gestalt veränderte sich, wurde schmaler und größer, Ihre Substanz, ihr lebendes, von der Formationsmatrix strukturiertes Fleisch, schien sich halb zu verflüssigen, um dann erneut zu erstarren und seine biologischen Funktionen zu erfüllen. Ein Humanoide stand vor Lorgard, ein nackter, geschlechtsloser Mensch mit einem Gesicht, aus dem ihn mehrere Personen anzusehen schienen: Die Züge wechselten, gingen ineinander über, zerfransten und zerfaserten, um sich dann in einer neuen Form zu stabilisieren.
    Der nackte, geschlechtsneutrale Mensch – der Metamorph – streckte wie flehentlich die Arme aus. »Es tut so weh«, klagte er. Zwei Tränen lösten sich aus den Augen und rannen über die Wangen. »Die vielen Stimmen… Es tut so weh.«
    Tausend Gedanken gingen Lorgard durch den Kopf. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Emmerson, an die Programmierung des Metamorphs und seinen multiplen Tötungsbefehl. Gefahr!, rief die Stimme des Instinkts in ihm.
    Doch er fühlte sich auch wie ein Vater, der den verlorenen Sohn wieder gefunden hatte. Dies war sein Geschöpf, sein Werk.
    Er trat vor, griff nach den Händen…
    Wieder veränderte sich die Gestalt, aber viel schneller als vorher. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wurde aus dem Menschen – weder Mann noch Frau – ein großes Maul mit dolchartigen Zähnen, und es schnappte sofort zu.
     
    Eine Hand schloss sich fast schmerzhaft fest um Eklunds Schulter und weckte ihn.
    »Er ist zurück!«, zischte Elisabeth.
    Raimon lag auf dem Bett, nackt und wie von einem Fieber geschüttelt. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er starrte ins Nichts, während er am ganzen Leib bebte. Eklund stand ruckartig auf, ignorierte den Schmerz im Rücken, eilte zum Bett und erschrak, als er den Jungen berührte. Raimons Haut war heiß; er schien regelrecht zu brennen. Ein leises Wimmern kam von seinen Lippen.
    »Ich bin ebenfalls eingeschlafen«, sagte Elisabeth leise. »Dann habe ich etwas gehört und…« Sie schüttelte den Kopf. »Die Tür ist abgeschlossen, von innen. Er muss durchs Fenster gekommen sein.«
    »Raimon?« Eklund beugte sich vor. »Hörst du mich, Raimon? Wie hast du das Zimmer verlassen? Und wie bist du zurückgekehrt?«
    »Tot«, hauchte der Junge. Er blinzelte mehrmals, und sein Blick schien sich auf etwas zu richten, das nur er sehen konnte. Das Gesicht veränderte sich und gewann etwas Fratzenhaftes. »Er ist tot, tot, tot.« Jedes einzelne Wort war ein tiefes, kehliges Grollen. Dann erklang wieder die Stimme des Jungen, gequält, voller Schmerz. »Es tut so weh…«
    Er schloss die Augen und schien einzuschlafen. Die Qual wich aus seinem Gesicht, und die kindlichen Züge glätteten sich. Eklund tastete nach der Stirn des Jungen und stellte fest, dass die Haut kühler geworden war.
    »Wir müssen ihm irgendwie helfen«, sagte er voller Mitleid.
    Elisabeth trat an seine Seite. Sie wirkte sehr nachdenklich. »Ich schlage vor, wir bringen ihn zum Hospital. Ich möchte ihn noch einmal untersuchen.«
     
     

22  Todesschatten
     
Kerberos
16. April 421 SN
20:45 Uhr
     
    Ohne die geringste emotionale Reaktion sah Lutor auf den braunroten Haufen, der vom Körper des Hirten übrig geblieben war. Hier und dort ragten Knochen aus der Masse, und ganz oben lag der

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