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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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beiden Beinen empor. Es rann, der Schwerkraft trotzend, über die zerschlissene Hose des Jungen, ohne von dem Stoff aufgesaugt zu werden, strömte in die Wunde, aus der es kam.
    »Sie können mich nicht töten«, sagte Raimon. »Sie können mich nur festhalten.«
    »Glaubst du? Und wenn ich dich zerstückele und deine Einzelteile in die Tiefe werfe, bevor sie sich wieder zusammenfügen?« Lutor hob das Schwert und verwandelte sich in einen Wirbelwind.
     
    Eklund beobachtete Raimon und Lutor, die sich gegenüberstanden, die Blicke aufeinander gerichtet, wie in der Zeit erstarrt.
    Plötzlich erloschen alle Kerzen, wie von einem Windstoß ausgeblasen. Völlig dunkel wurde es trotzdem nicht. Ein wenig Licht fiel weiter oben durch den Eingang der Höhle, wo sich Dutzende von Brüdern und Schwestern zusammendrängten. Hinzu kam das goldene Glühen der drei Mandala-Ringe, die ihren Tanz fortsetzten, sich immer wieder umschlangen und durchdrangen. Dieses Licht wanderte über die Wände, wie auf der Suche nach etwas.
    »Raimon?«, fragte Eklund leise.
    Der Junge antwortete nicht, war ebenso statuenhaft reglos wie der vor ihm stehende Lutor. Etwa zwei Meter trennten sie voneinander, aber die Leere zwischen ihnen war nicht leer. Etwas verband sie, etwas spannte sich zwischen ihnen, ein Band im Elysium.
    »Was geschieht hier?«, fragte jemand weiter oben. Eine Gestalt kam die Treppe herab, und als sie sich dem Mandala näherte, sah Eklund das Gesicht. Terod. Wie seltsam, dass ausgerechnet er hier in diesem Moment auftauchte, fand Eklund. Aber vielleicht gehörte auch das zu dem Kreis, der sich schloss.
    »Ich habe dich gesucht, Eklund«, sagte Terod, der seit vielen Jahrzehnten wie ein Bruder für ihn war. »Niemand konnte mir sagen, wo du bist.« Fast entschuldigend fügte er hinzu: »Ich bin der neue Hirte.«
    »Das freut mich für dich und noch mehr für die Aufgeklärte Gemeinschaft.«
    Terod deutete kummervoll auf Raimon. »Ich habe versprochen, Arkan zu benachrichtigen, wenn der Junge in die Zitadelle zurückkehrt.«
    »Arkan?«
    »Der Leiter der Sekuritos, die nach ihm gesucht haben. Raimon steht im Verdacht, Xalon und Conrad getötet zu haben.«
    »Das hat er tatsächlich«, sagte Eklund leise. Als er das Entsetzen im Gesicht seines alten Freundes sah, fügte er rasch hinzu: »Aber er wollte es nicht. Er wurde dazu gezwungen.«
    »Wer hat ihn gezwungen?«
    »Es ist eine lange Geschichte.« Eklund sah kurz zu den anderen Brüdern und Schwestern, die oben standen. Stimmen flüsterten, und niemand machte Anstalten, die Kerzen wieder anzuzünden. »Terod, bei unserer langen Freundschaft… Bitte, vertrau mir, wenn ich dir sage: Raimon ist unsere größte Hoffnung.«
    »Warum?«
    »Fühlst du es nicht? Das Elysium, es dreht sich um ihn. Er ist zu seinem Mittelpunkt geworden.«
    Skepsis zeigte sich in Terods faltigem Gesicht. »Ich fühle, dass die Kraft in Bewegung geraten ist. Der Junge hat sie nicht genutzt, um zu heilen, sondern um zu töten. Und eine solche Person soll unsere größte Hoffnung sein?«
    Raimon blieb reglos, aber in seinem Gesicht bewegte sich etwas. Im wechselnden Licht der drei Mandala-Ringe sah Eklund genauer hin – zwei Tränen lösten sich aus den Augen des Jungen und rannen über die Wangen. Hilf mir, schienen sie ihm zuzuflüstern.
    »Wenn ich dir doch nur helfen könnte, Raimon«, murmelte er, streckte die Hand nach dem Jungen aus und…
    … stieß an eine unsichtbare Barriere, die ihn sowohl von Raimon als auch von Lutor trennte.
     
    Der Wind wurde stärker und machte sich nun auch auf der Plattform bemerkbar. Er war nicht annähernd so stark wie außerhalb davon, wurde aber heftig genug, um Lutors Bewegungsmuster zu beeinflussen. Das Schwert in seiner rechten Hand sang durch die Luft, zuckte vor und zurück, während er einen tödlichen Tanz tanzte, immer wieder sprang, ausholte und zuschlug. Doch der Junge, der Metamorph, passte sich diesem Tanz an, sprang ebenfalls, bewegte sich in einem Rhythmus, der genau zu dem des Angreifers passte. Schließlich hielt Lutor inne, als er begriff, dass er auf diese Weise nicht weiterkam, sich nur verausgabte. Vielleicht legte es sein Gegner genau darauf an.
    Der Junge blieb dicht vor dem Rand der Plattform stehen, und deutlich war zu sehen, wie der Wind an seiner zerschlissenen Hose und dem ärmellosen Hemd zerrte.
    Lutor atmete schwer und fühlte, wie neue Kraft seine Schwäche ersetzte.
    »Ich bin das Leben«, sagte der Metamorph. »Ich werde nie wieder

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