Kantaki 02 - Der Metamorph
Weltseele«, sagte Eklund.
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Das ist dumm, Eklund, und das weißt du auch. Wenn man einen solchen Fatalismus auf die Spitze treibt, müsste man sich mit allem abfinden, ohne einen Finger zu rühren.«
Wieder lächelte Eklund hintergründig, vielleicht ein Hinweis darauf, dass seine Worte nicht ganz ernst gemeint waren. »Wie ist die Situation bei euch?«, fragte er und wechselte damit das Thema.
»Alle Betten belegt, wie üblich«, sagte Elisabeth, und dabei lag so etwas wie müde Resignation in ihrer Stimme. »Unfälle, Schlägereien, Drogen. Opaltaucher, die zu lange unter Wasser geblieben oder zu schnell aufgetaucht sind. Schlammspringerbisse – die sind seit einigen Wochen häufiger geworden. Und offenbar breitet sich das Syndrom wieder aus, wie vor drei Jahren. Wir haben vier Fälle, einer von ihnen besonders schlimm. Ein Mädchen mit akuter Nieren-Insuffizienz und Hepatotoxämie. Die Mutter hat einfach abgewartet, in der Hoffnung, dass ihre Tochter von allein wieder gesund wird. Vielleicht kannst du ihr helfen.«
Eklund neigte kurz den Kopf. »Ich versuche es gern. Deshalb bin ich hier.« Das »Syndrom«, wie alle es nannten, wurde von Parasiten verursacht, die in den Brackwasserzonen des Deltas lebten. Aufgrund eines besonderen biologischen Zyklus stieg ihre Zahl alle drei bis vier Jahre stark an, und dann konnte es zu Kontaminationen des Trinkwassers kommen. Wer es versäumte, das Wasser abzukochen oder mit keimtötenden Mitteln zu behandeln, riskierte eine Infektion, die in zwanzig Prozent aller Fälle tödlich verlief, wenn sie unbehandelt blieb.
»Außerdem kam es in der vergangenen Nacht ganz in der Nähe zu einer Schießerei«, fuhr Elisabeth fort, als sie ihr Büro zusammen mit Eklund verließ. Sie schritten durch einen matt erhellten Flur, der zum zentralen Bereich des Hospitals führte. Krankenschwestern und Pfleger kamen ihnen entgegen, grüßten freundlich. Bruder Eklund kannten sie seit vielen Jahren. »Vermutlich eine Drogensache. Zwei Tote. Ein Junge, der sich zufälligerweise in der Nähe befand, wurde schwer verletzt.« Sie blieb stehen und runzelte die Stirn. »Vielleicht solltest du ihn dir ansehen. Irgendetwas an ihm ist… seltsam.«
»Seltsam?«
»Er erholt sich erstaunlich schnell.«
»Ist das nicht gut?«
»Ich meine… Er erholt sich zu schnell.« Elisabeth ging weiter, und ihre Züge glätteten sich wieder. »Vielleicht bin ich wirklich überarbeitet. Eine Ärztin, die sich darüber beschwert, dass sich einer ihrer Patienten zu schnell erholt…«
Sie betraten einen etwa hundert Quadratmeter großen Raum, in dem es trotz der Desinfektionsmittel nach Krankheit und Leid roch. Improvisiert wirkende Wandschirme aus Kunststoff und Holz waren in dem Versuch aufgestellt worden, hier und dort so etwas wie Privatsphäre zu schaffen. An der Decke summten mehrere antiquiert wirkende Klimaservi. Jetzt, am frühen Morgen, war die Temperatur noch recht angenehm – die Fenster standen offen und ließen kühle Luft hereinströmen –, aber später am Tag würde es hier drückend heiß werden, trotz der alten Servi.
»Die Kleine heißt Rebecca«, sagte Elisabeth und deutete zu einem der Fenster. »Dort drüben.«
Sie gingen an Betten vorbei. Viele Patienten schliefen noch; andere wurden von Elisabeths Kollegen untersucht oder behandelt.
In einem Bett direkt am Fenster lag ein etwa vier Jahre altes Mädchen, angeschlossen an mehrere Diagnosegeräte und ein veraltetes Lebenserhaltungssystem. Kastanienbraunes Haar lag wie ein Schleier auf dem Kissen ausgebreitet und umgab ein eingefallen wirkendes, blasses Gesicht. Eklund hatte die Tür zum Elysium noch nicht geöffnet, aber er sah auch so, wie schlecht es um das Mädchen stand.
»Warum hat die Mutter so lange gewartet?«, fragte er leise. »Wenn sie Rebecca früher hierher gebracht hätte…«
»Gleichgültigkeit?«, erwiderte Elisabeth. »Kein Geld für die Behandlung? Es gibt viele mögliche Gründe. Sie brachte ihre Tochter gestern Abend hierher und verschwand sofort wieder. Hoffentlich kehrt sie zurück. Sie hat nur den Namen ihrer Tochter genannt und keine Adresse hinterlassen.«
Eklund zog einen Stuhl heran, nahm Platz und sah auf die kleine Rebecca hinab. Ihre Augen waren geschlossen, und sie atmete flach. Die Diagnosegeräte zeigten kritische Werte an.
»Sie schafft es nicht, oder?«, fragte er kummervoll.
»Es geht ihr sehr, sehr schlecht. Kannst du ihr helfen?«
»Das weiß ich noch nicht.«
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