Kantaki 02 - Der Metamorph
und deutete zu den hinter ihm aufragenden steilen Felswänden des Pelion-Massivs. »Ich konnte heute Nacht keine Ruhe finden, und deshalb habe ich die Zitadelle noch während der Dunkelheit verlassen.«
Er ging die Treppe hoch, brachte langsam eine Stufe nach der anderen hinter sich und spürte dabei wieder den dumpfen Schmerz im Rücken, der ihm seit einigen Monaten zusetzte, mal mehr und mal weniger. Elisabeth kam ihm entgegen und stützte ihn.
»Du solltest dich mehr schonen, Eklund«, sagte sie besorgt. »Oder dich einer Resurrektion unterziehen.«
»Resurrektionen sind teuer.«
»Du könntest eine bezahlen, wenn du dich zur Abwechslung einmal für deine Dienste bezahlen lassen würdest.«
»Ach, Elisabeth, ich lege mein Leben und mein Schicksal in die Hände der Weltseele. Soll sie darüber bestimmen, wie es mir ergeht und wann ich das Diesseits verlasse.«
»Aber die Rückenschmerzen brauchst du nicht zu ertragen. Dagegen habe ich etwas.« Sie erreichten die Veranda, und Elisabeth fügte hinzu: »Seltsam, dass ihr euch nicht selbst heilen könnt.«
»Kann ein Messer sich selbst schneiden?«, erwiderte Eklund.
Elisabeth maß ihn mit einem skeptischen Blick. »Das klingt nach einer guten Analogie, aber…«
»Manche Dinge sind eben so, wie sie sind«, sagte Eklund. »Man muss sich damit abfinden. Untereinander können wir uns nicht helfen. Die Kraft will es so.«
»Vermutlich entspricht auch das dem Willen deiner Weltseele, wie?«, fragte Elisabeth. Sie war überzeugte Atheistin und hatte einmal betont, zu viel gesehen zu haben, um noch an einen Gott oder etwas in der Art zu glauben.
»Vielleicht«, sagte Eklund und lächelte hintergründig. Er mochte Elisabeth, obwohl sie in vielen Dingen ganz anders dachte als er. Er mochte ihr Engagement als Ärztin und als Mensch, ihre manchmal sanfte, manchmal forsche Art. Bestimmt hatte sie erneut mehr als fünfzehn Stunden Dienst hinter sich, wie üblich. Ihre Arbeit war ihr Leben, eine wahre Berufung, und vielleicht verstanden sie sich deshalb so gut, trotz des großen Altersunterschieds: Elisabeth war knapp vierzig, Eklund mehr als fünfzig Jahre älter. Sie beide glaubten an etwas, auch wenn Elisabeth das immer wieder bestritt. Beide setzten sie sich für etwas ein, für etwas mehr Menschlichkeit in einer Welt, die allein den Starken zu gehören schien.
Elisabeth strich ihr dunkles Haar zurück, in dem sich bereits einige graue Strähnen zeigten. Der Schatten von Müdigkeit lag auf ihrem schmalen Gesicht, ließ die ersten Falten tiefer und länger erscheinen. Der Glanz ihrer grünen Augen blieb auch nach einer langen Nacht ungetrübt. Das war ein weiterer Aspekt, der Eklund gefiel – ihre Vitalität.
»Du bist erschöpft«, sagte er, stützte sich auf den Gehstock und spürte erleichtert, wie der Rückenschmerz nachließ.
»Es gibt viel zu tun, aber ich mache bald Schluss. Für heute.« Sie führte ihn zur Tür des aus Fertigteilen bestehenden Hospitals, das beim Bau vor fünfzehn Jahren eigentlich nur als eine Erste-Hilfe-Station geplant gewesen war. Doch im Lauf der Jahre kamen immer mehr Patienten, die meisten aus dem nahen, ständig wachsenden Bidonville, und deshalb war die ursprüngliche EH-Station immer wieder erweitert worden. Schließlich hatte irgendjemand damit begonnen, sie »Hospital« zu nennen.
In ihrem kleinen, unordentlichen Bereitschaftsbüro nahm Elisabeth ein Arzneipäckchen aus einer Schublade und gab es Eklund. »Eine Tablette alle zwei Tage«, sagte sie. »Das hilft gegen die Rückenschmerzen. Du solltest wirklich erwägen, dich behandeln zu lassen. Mit einem Bandscheibenschaden ist nicht zu spaßen.«
Eklund nahm das Päckchen entgegen und ließ es in einer der vielen Taschen seiner weiten, beigefarbenen Hose verschwinden. Darüber trug er ein ebenfalls sehr weites Hemd in der gleichen Farbe, wie die Hose mit zahlreichen kleinen und großen Taschen ausgestattet. Er liebte es, Dinge mit sich herumzutragen, die nur für ihn einen Wert hatten: kleine Bilder, bunte Glaskugeln, getrocknete Blumen, Blütenblätter mit besonderen Mustern, glänzende Steine und dergleichen. Der Hirte in der Zitadelle bezeichnete ihn manchmal als »Kind im Körper eines Greises«. Eklund verstand das als Kompliment, und vielleicht war es diese seine Neigung, die ihm ein besonderes Verständnis für die Gedanken- und Gefühlswelt von Kindern gab.
»Wenn mit meiner Bandscheibe nicht mehr alles in Ordnung ist, so entspricht auch das dem Willen der
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