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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Kosmen, identifizierte die Melodie der richtigen Saiten, richtete sich auf einem Wellenkamm der hyperdimensionalen Brandung auf und sprang zurück in das Universum, in dem sie als Teil der Sphäre, des Konziliats, den Omnivor verfolgt hatte. Sie fiel zurück durch Raum und Zeit, in den gravitationellen Hexenkessel des Sonnentors, das immer mehr von der außer Kontrolle geratenen Singularität verschlungen wurde. Eine leichte Verschiebung der Realität hatte stattgefunden, eine, die KiTamarani nicht rückgängig machen konnte, da sie nicht zu den Schöpfern zählte – vielleicht war es ein Nebeneffekt der Falle. Die Abstände zwischen den einundzwanzig Roten Riesen waren geringer geworden, und durch die Plasmaströme verloren sie mehr Masse an das gefräßige Schwarze Loch. Die Oktaeder der Kontrollstation waren in Bewegung geraten, gaben dem Zerren der Gravitation nach und drifteten dem Ereignishorizont entgegen.
    Agens: Dringlichkeit. Dringlichkeit.
    »Ja, ich weiß«, flüsterte KiTamarani im All. »Das Loch wird sich aufblähen und dann zu einem Strudel werden, in dem sich die Spur des Keims nicht mehr verfolgen lässt.« Ein Gedanke brachte sie in die Kapsel zurück, in den Stern unter Sternen, und dort vereinte sie sich mit ihrem sekundären Selbst, was ein angenehmes Gemeinschaftsgefühl zurückbrachte, oder vielleicht die Erinnerung daran.
    Agens: Verfolgung möglich. Integrität bewahrt?
    »Ich bin… ich«, bestätigte KiTamarani. Doch das entsprach nicht ganz der Wahrheit, wie sie unmittelbar darauf erkannte. Sie hatte etwas verloren, einen Teil ihrer Kraft, vielleicht auch einen winzigen Teil ihres primären Selbst.
    Sie streichelte die Komponenten der Kapsel und sah, wie aus den Kugeln der einundzwanzig Roten Riesen Ellipsen wurden.
    Agens: Verfolgung aufnehmen. Jetzt.
    »Ja«, sagte KiTamarani und fühlte die gleiche Entschlossenheit, mit der sie sich aus der Falle befreit hatte. Ihre Gedanken trugen die Kapsel durchs All, hinein ins Schwarze Loch, durch das der Keim des Omnivors geflohen war.
     
     

5 Fremde Winde
     
Kerberos
15. April 421 SN
06:35 Uhr
     
    Die Sonne schien direkt aus dem Ozean zu steigen, und ihr rotes Licht spiegelte sich auf dem Riffmeer wider. Die zahllosen Inseln im Delta des Acheron wirkten wie grüne und braune Flecken, durch Brücken und Stege miteinander verbunden. Einige wenige Wolkenschleier zeigten sich am Himmel, und vom Meer her wehte eine leichte, salzig riechende Brise.
    Bruder Eklund blieb vor dem Eingang des Hospitals stehen und stützte sich auf seinen Gehstock, den er in letzter Zeit immer öfter brauchte. Er nahm sich einige Minuten Zeit, um den Sonnenaufgang zu beobachten und jene sonderbare Stille zu genießen, die nur während dieser Zeit herrschte, wenn die Nacht dem Tag wich, wenn sowohl im Kontinentalwald als auch in Chiron eine Art Schichtwechsel stattfand: Im Dschungel zog sich das nachtaktive Leben in seine Schlupfwinkel zurück und machte den Geschöpfen des Tages Platz, und in der Stadt verhielt es sich ähnlich, mit dem einen Unterschied, dass es sich dort in beiden Fällen hauptsächlich um Menschen handelte. Zwei Welten trafen sich an dieser Nahtstelle, im wahrsten Sinne des Wortes die der Dunkelheit und die des Lichts. Dort, wo sie aneinander grenzten, erstreckte sich eine schmale Zone des Friedens, ein Niemandsland des Schweigens und der Stille. Und nur während dieser Zeit war Chiron wirklich schön. Des Nachts verwandelte sich die Stadt in eine riesige Lasterhöhle, und tagsüber war sie ein von Chaos und Lärm erfülltes Treibhaus.
    Die Tür des Hospitals öffnete sich knarrend, und die Ärztin Elisabeth trat auf die kleine Veranda vor der Treppe, die zu dem auf Pfählen ruhenden Gebäude emporführte. Derzeit lag der Wasserspiegel drei Meter tiefer, aber wenn die beiden Monde von Kerberos eine bestimmte Position einnahmen, stieg der Pegel schnell und so hoch, dass Boote die Anlegestellen neben der Veranda nutzen konnten. Dann kam es zu einer Flutwelle, die das Wasser des Riffmeers den Acheron hinaufdrückte – ein eindrucksvolles Spektakel, das einige Lebensformen im und am Wasser zur Grundlage ihrer Existenz gemacht hatten.
    »Oh, du bist schon da«, sagte Elisabeth überrascht und benutzte das unter manchen Subalternen gebräuchliche Du, das normalerweise sehr intime Vertrautheit zum Ausdruck brachte. »Ich wollte nur ein wenig Luft schnappen und habe dich noch nicht erwartet.«
    »Ich bin früher aufgebrochen als sonst«, erwiderte Eklund

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