Kantaki 02 - Der Metamorph
mit schmerzhafter Deutlichkeit, dass er noch immer zwischen Leben und Tod stand, weder ganz auf der einen noch ganz auf der anderen Seite.
Agorax schien seine Gedanken zu erraten. Oder vielleicht las er sie. »Wir befinden uns hier außerhalb der gewöhnlichen Zeit«, sagte der Temporale. »Hier altern Sie nicht. Eine oder zwei Ihrer Sekunden würden genügen, Sie sterben zu lassen.«
Sterben… Und Lidia, unter ihrem neuen Namen »Diamant« Pilotin der Kantaki, lebte und war jung. Lidia, die sich ihm verweigert, ihn verraten hatte. Zorn kochte in ihm. Wie gern hätte er sich an ihr gerächt…
»Sie sind… ein Feind«, sagte Valdorian und dachte an den tausendjährigen Zeitkrieg.
»Ich habe Ihnen geholfen, auf Kabäa. Und ich kann ihnen auch jetzt helfen. Was wünschen Sie sich am meisten?«
Valdorian blinzelte im grellen Schein der Sonne, und die Hitze machte jeden Atemzug zur Qual. Er hatte Durst und fühlte sich so schwach, dass er befürchtete, sich nicht mehr lange auf den Beinen halten zu können.
»Sie sind durstig«, sagte Agorax, und in seinen großen schwarzen Augen blitzte es kurz. »Trinken Sie.«
Er hob die Hand, und zwischen den dünnen Fingertentakeln erschien ein Gefäß, gefüllt mit Wasser. Valdorian nahm es entgegen, und nachdem er gierig getrunken hatte, löste sich das Gefäß auf. Es zerbrach in hunderte von kleinen Fragmenten, die kurz funkelten und dann verschwanden.
»Ich kann Ihnen geben, was Sie wollen«, sagte der Temporale.
»Und was… verlangen Sie dafür?«
»Ihre Seele?«, erwiderte Agorax. Es klang nicht wie eine Antwort, eher wie eine Frage.
»Was soll das sein, ein Pakt mit dem Teufel?«, fragte Valdorian mit dem Spott des Sterbenden.
Es knisterte leise, als der Temporale den Arm hob und eine Geste vollführte, die Valdorian nicht verstand. »Ohne mich wären Sie bereits dies.« Jemand lag vor dem starren und starrenden Jonathan auf dem Boden. Valdorian sah sich selbst, so wie er sich vor kurzer Zeit – Zeit… – in den spiegelnden Kristallen von Mirror gesehen hatte: das eingefallene, hohlwangige Gesicht eine Grimasse, die Haut faltig und verschrumpelt. Ein Greis. Ein Toter. Valdorian beobachtete, wie ihn die Trockenheit in eine Mumie verwandelte, ein grässliches Zerrbild von ihm selbst konservierte.
»Ohne meine Hilfe wären Sie tot«, sagte Agorax. »Und glauben Sie mir, der Rest des Universums würde sich nicht darum scheren. Sie wären tot, und Lidia würde leben. «
»Ich… will nicht… sterben…«
»Die Kantaki wollten Ihnen keine Zeit geben, nicht wahr?«, fuhr der Temporale fort. »Nehmen Sie sie von mir in Empfang. Ich gebe Ihnen das Leben zurück.«
Er deutete auf den mumifizierten Leichnam, der sich sofort zu verändern begann. Die faltige, runzlige Haut glättete sich. Fleisch kehrte auf die Knochen zurück. Nach wenigen Sekunden – Sekunden… – stand der andere Valdorian auf, und aus dem Greis wurde ein Mann von etwa vierzig Jahren, das Haar dicht, in den Augen das Feuer von Vitalität. So hatte Valdorian ausgesehen, als er zum Nachfolger seines Vaters geworden war. Jung, voller Kraft, ein langes Leben vor sich…
»Rekursive Zeit«, sagte Agorax. »Erinnern Sie sich? Sie haben sich gefragt, woher Sie diesen Begriff kennen. Er stammt aus meinem Flüstern.«
»Aus Ihrem… Flüstern?«
»Ja. Ich habe Sie hierher gerufen.« Wieder eine Geste, und der kristallene Keil in Valdorians Hand leuchtete heller, schien mit der lodernden Sonne wetteifern zu wollen.
»Warum?« Valdorian wankte. Er fühlte, wie er immer schwerer wurde, und die schwachen Beine konnten mit dem zunehmenden Gewicht kaum mehr fertig werden.
»Ich helfe Ihnen«, sagte der Temporale. »Ich gebe Ihnen rekursive Zeit und verjünge damit Ihren Körper. Ich gebe Ihnen das Leben zurück, das Sie verloren haben. Ich gebe Ihnen Gelegenheit, sich zu rächen.« Agorax’ Stimme wurde eindringlicher. »Das wollen Sie doch, nicht wahr? Rache üben. An den Kantaki. Und auch an Lidia?«
Rache, dachte Valdorian. Ein süßes Wort, voller Verheißung. Fast ebenso süß und verlockend wie das Wort Leben. Beides zu bekommen…
»Ich helfe Ihnen«, wiederholte Agorax. » Und dafür helfen Sie mir! «
Diese Worte waren nicht süß. Valdorian glaubte, eine gewisse Schärfe in ihnen zu hören, auch eine… Drohung?
»Was… erwarten Sie von mir?«, fragte Valdorian mit brüchiger Stimme. Er ist der Feind, warnte ein letzter Rest von Rationalität in ihm. Doch der übrige Teil seines Ichs
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