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Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Titel: Kantaki 03 - Der Zeitkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ganzen Weile, und hatte seinerseits andere Dinge in Bewegung gesetzt, und aus dieser kleinen Lawine im Unterbewusstsein wuchs nun etwas, das sein Bewusstsein erreichte. Er dachte an Madeleine Kinta, die Frau, mit der er in seiner Welt fast dreißig Jahre verheiratet gewesen war, dachte an ihre letzte Begegnung, an die Aura der Trauer, die sie immer umgeben hatte. Trauer darüber, ihr Leben vergeudet zu haben, ihr Leben mit ihm? Eigentlich hatte sie ihm nie etwas bedeutet, und als er sich nun fragte, warum er damals einen Ehekontrakt mit ihr eingegangen war, fand er keine Antwort. Und der Valdorian dieser Welt … Warum hatte er eine Frau wie Alexandra geheiratet, die ganz offensichtlich nur an sich selbst dachte?
    Nein, dachte Valdorian, als er den kleinen Salon betrat. Das sind die falschen Fragen. Die richtige Frage, die den Kern der Sache traf, lautete: Warum haben wir, mit all den Möglichkeiten, die uns offen standen, ausgerechnet ein solches Leben geführt?
    Er kehrte den Blick von innen nach außen und sah einen Tisch, für drei Personen gedeckt, daneben eine zweiten und noch größeren Tisch mit kulinarischen Köstlichkeiten aus mehreren Welten. Meeresfrüchte von Tintiran, auf verschiedene Weisen zubereitet; Fleisch in süßsauren und pikanten Soßen; gebackenes Obst und Gemüse, zu Formen angeordnet, die auch das Auge des Gourmets erfreuen sollten. Genug Spezialitäten für ein Bankett. Und natürlich stammte alles aus Syntho-Maschinen.
    Valdorian bediente sich – er wusste gar nicht mehr, wann er zum letzten Mal etwas gegessen hatte –, nahm am Tisch Platz und aß geistesabwesend, während er wieder hinaussah ins All, zum Planeten Tintiran, der sich unter der Orbitalstation drehte.
    Cordoban. Er lebte für seine Pläne, für seine langfristigen Strategien, ging ganz in ihnen auf und machte sie zu seinem Leben. Einst hatte Valdorian ihn für sein rationales, kaltes Kalkül bewundert, aber jetzt bemitleidete er ihn – ganz abgesehen davon, dass er ihn hasste, weil er durch ihn erneut zu einem Gefangenen geworden war. Er hatte Mitleid mit ihm, weil sein Leben so schrecklich beschränkt war, so limitiert, so arm. Dieses Wort gefiel ihm. Arm. Man konnte reich sein, reich genug, um sich alle Wünsche zu erfüllen, und gleichzeitig arm. Man konnte glauben, sich außerhalb des Schachbretts zu befinden und das Geschehen darauf zu bestimmen, aber manchmal machte man sich dadurch selbst zur Figur in einem anderen Spiel. Man glaubte, frei zu sein, viel freier als andere, und doch trug man schwere Ketten, die Geist und Seele fesselten.
    Valdorian hatte fast hundertfünfzig Jahre gebraucht, um das zu verstehen. Und diese Erkenntnis, aus dem Unbewussten gewachsen und endlich gereift, öffnete eine innere Tür, hinter der weitere Erkenntnisse warteten.
    Die Hand mit der Gabel verharrte vor dem Mund, als Valdorian plötzlich begriff, was er wollte. Er kam sich wie jemand vor, der jahrelang mit verbundenen Augen herumgelaufen war und dem plötzlich die Binde fortgezogen wurde. Zum ersten Mal in seinem Leben, in seinem langen, wieder verjüngten Leben, konnte er das wirklich Wichtige vom Unwichtigen trennen. Es ging nicht um Macht und Reichtum, es ging nicht um ein Leben »ohne Kompromisse« – eine Vorstellung, die ihm plötzlich lächerlich erschien, denn nur ein Gott brauchte keine Kompromisse zu schließen.
    Worum geht es letztendlich?, fragte sich Valdorian, die Gabel noch immer vor dem Mund; der von einer Syntho-Maschine geschaffene Leckerbissen darauf war kalt geworden. Ging es denn nicht um jenen besonderen Frieden in der Seele, den man »Glück« nannte? Alle Menschen – praktisch alle denkenden und fühlenden Wesen – suchten danach, und die wenigsten von ihnen verstanden wirklich, wonach sie suchten. Manche glaubten, dass ihnen Drogenträume oder die programmierten Visionen von Anderswelten geben konnten, was sie sich erhofften. Andere strebten in ihrem Leben bestimmte mehr oder weniger hoch gesteckte Ziele an, in der Erwartung, »glücklich« zu werden, sobald sie sie erreicht hatten. Andere suchten nach dem »Sinn des Lebens«, davon überzeugt, dass sie Transzendenz – ihre Form des Glücks – erlangten, wenn die Suche mit einem Erfolg endete.
    Valdorian ließ langsam die Gabel sinken, und seine Gedanken verharrten, zitterten wie erschrocken, sprangen auf und stoben in alle Richtungen.
    Ich habe mehr als hundertzwanzig Jahre meines Lebens als Erwachsener vergeudet!
    Es fühlte sich an wie eine

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