Kantaki 03 - Der Zeitkrieg
diesem Augenblick ging die Tür auf, und Lidias Vater kam herein, begleitet vom Pfeifen eines recht stark gewordenen Winds. Die Tür schloss sich wieder. »Ist ziemlich kalt geworden«, sagte Roald DiKastro laut. »Sieht nach viel Schnee aus.«
Lidia und Valdorian standen auf.
Ein rüstiger alter Mann betrat den Salon, zog seine Jacke aus und legte einen Infonauten auf den nahen Tisch.
»Das ist Rungard Avar Valdorian«, sagte Lidia.
Roald richtete einen skeptischen Blick auf Valdorian. »Er sollte dem Tode doch näher sein als dem Leben, oder? Dieser Bursche erscheint mir recht lebendig und gesund.« Er streckte die Hand aus.
Valdorian ergriff sie und fühlte, wie Roald kurz zudrückte und sofort wieder losließ.
»Ich habe eine erfolgreiche Resurrektion hinter mir.«
»Und Sie sind ganz allein hier?« Roald sah sich demonstrativ um. »Ohne Leibwächter und irgendwelche Kampfdrohnen?«
»Vater«, sagte Lidia leise.
»Ich bin nicht völlig schutzlos, wenn Sie das meinen«, erwiderte Valdorian. Und das stimmte. Mehrere Gefechtsshuttles des Konsortiums schwebten auf Levitatorkissen über dem Tal, an Bord Soldaten, die nur auf ein Signal für den Einsatz warteten. Aber sie dienten nicht dazu, eventuelle Attentäter aus der Allianz oder Assassinen der Blassen abzufangen, bevor sie Schaden anrichten konnten. Valdorian wollte sich mit ihnen vielmehr vor Olkin schützen, der bestimmt nach ihm suchte.
Er musterte Lidias Vater und schätzte ihn auf ebenfalls etwa neunzig Standardjahre. Er hätte älter oder bereits tot sein müssen, ebenso wie Carmellina Diaz – ein weiterer Unterschied in dieser Zeitlinie. Roald hatte fünfzehn oder zwanzig Kilo Übergewicht, wirkte damit aber nicht dick, sondern kräftig gebaut. Die Schneeflocken in seinem grauen Vollbart waren längst getaut. Der Kopf war fast haarlos, die Wangen vom kalten Wind gerötet. Mit den Stiefeln und der einfachen, offenbar aus Naturfasern bestehenden Kleidung sah Roald DiKastro nicht wie ein Schriftsteller aus, sondern entsprach eher Valdorians Vorstellungsbild von einem Holzfäller.
Doch in den blauen Augen des Mannes leuchtete wache Intelligenz. Und noch etwas anderes, das Valdorian nach einem fast hundertfünfzig Jahre langen Leben zu deuten wusste.
»Sie mögen keine Magnaten, nicht wahr?«
»Es gibt ehrliche Methoden, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Was aber nicht heißen soll, dass Sie hier unwillkommen sind. Meine Tochter kennen Sie ja, nicht wahr?«, fügte er sarkastisch hinzu.
»Vater …«
»Wir sehen uns beim Essen«, sagte Roald und stapfte fort.
Valdorian stellte fest, dass der aktivierte Infonaut auf dem Tisch zurückblieb. Er warf einen Blick auf das Display und las: »Die Türme des Irgendwo«, und darunter »Für Lidia«.
»Ich muss mich für ihn entschuldigen.« Lidia kam näher. »Manchmal übertreibt er es mit dem Nonkonformismus ein wenig. Er hätte nicht unhöflich sein dürfen.«
Dort stand sie, nur eine Armeslänge entfernt, kein Erinnerungsbild, sondern lebendig und real, so nahe, dass Valdorian erneut ihren Geruch wahrnahm. Er hätte sie am liebsten umarmt und fest an sich gedrückt, doch gleichzeitig wollte etwas in ihm die Faust ballen und sie ihr ins Gesicht schmettern.
Lidia trug eine schlichte Kombination aus Hose und Bluse, und am Kragen bemerkte Valdorian fünf Kantaki-Symbole, Zeichen einer Pilotin.
Kantaki.
Erneut regte sich die finstere Kreatur in seiner Seele.
»Wie ist es Ihnen ergangen?«, fragte er, als sie wieder Platz genommen hatten.
Lidia lächelte sanft. »Mein größter Wunsch war es, die Unendlichkeit zu berühren, die Ewigkeit, und seit mehr als vierzig Jahren habe ich Gelegenheit dazu. Das Leben als Kantaki-Pilotin füllt mich völlig aus.«
Vierzig Jahre, dachte Valdorian. Das passte zu dem Alter des kranken Valdorian, den er erwürgt hatte, und auch zu dem von Carmellina und Roald, aber nicht zu seinem eigenen. Die Lidia in seiner Welt war hundertfünfundvierzig Jahre alt, zwei Jahre jünger als er.
Gedämpfte Stimmen kamen aus der Küche, und Valdorian glaubte zu hören, wie Carmellina Diaz mehrmals »um Lidias willen« sagte.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Lidia. »Ihre Frau hat sich bestimmt sehr über Ihre Genesung gefreut, nicht wahr?«
Meine Frau?, dachte Valdorian verblüfft. Ich bin hier verheiratet? Davon hat Cordoban nichts gesagt.
»Ich habe Fehler gemacht«, sagte er, ohne auf die Frage einzugehen. Ein Teil von ihm wollte diese Worte aussprechen, auch wenn es anderen
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