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Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)

Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)

Titel: Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Schemen ausstreckte. »Hier gibt es eine Barriere«, sagte er. »Sie hindert mich daran, die Nische zu erreichen.«
    Norene stand plötzlich neben ihm und streckte ebenfalls den Arm aus, bis in die Nische hinein. »Es gibt keine Barriere, siehst du?«
    »Aber ich …«
    »Du bist dir selbst im Weg, Dominik. Schmerz hat dich hierher gebracht, aber an diesem Ort, im Zentrum, kannst du nur ohne den Ballast deiner Gefühle bleiben. Ganz zu schweigen davon, eine der Stufen zu erreichen.«
    Dominik starrte in die Nische, und plötzlich war er wieder da, der alte Trotz, Freund und Feind zugleich. »Ich kann die Stufen auch erreichen, wenn ich nicht im Zentrum bin. Ich kann fremde Gedanken hören, wenn ich will! Das ist Delm, die vierte Stufe!«
    Norene ergriff seine Hände und hob sie. Dominik versuchte, sie zurückzuziehen, aber sie schienen in der Luft festgenagelt zu sein.
    »Du trägst die Zeichen eines Großmeisters, aber du weißt nichts. Derzeit bist du nichts weiter als ein dummer Schüler, der wie ein Kleinkind reagiert, wenn er seinen Willen nicht bekommt.«
    Zorn gesellte sich dem Trotz hinzu. Dominik sah Norene in die Augen, öffnete den Mund … und zögerte.
    »O nein«, sagte er und lächelte. »So dumm bin ich nicht. Du willst mich provozieren, um mir meine Emotionalität vor Augen zu führen. Sieh selbst: Ich kann mich beherrschen.«
    »Du bist nicht nur dumm und unwissend, sondern auch selbstgefällig und arrogant. Glaubst du wirklich, Delm berührt zu haben? Dann sag mir, was ich denke.«
    Dominik öffnete die inneren Augen und Ohren, wie so oft, wenn er – manchmal aus reiner Langeweile – dem mentalen Flüstern anderer Personen gelauscht hatte. Es war ihm nie schwer gefallen, etwas im telepathischen Äther wahrzunehmen. Das Problem hatte vielmehr darin bestanden, die vielen geistigen Signale voneinander zu trennen, sie in einzelne kohärente Gedankenströme aufzulösen. Doch bei Norene stieß er auf … nichts. Hinter ihren manchmal brennenden Augen hörten seine inneren Ohren nicht das leiseste Raunen.
    »Nun?«, fragte sie.
    »Du bist eine Großmeisterin und über dreitausend Jahre alt. Natürlich kannst du deine Gedanken gut abschirmen. Du hattest Zeit genug, es zu lernen.«
    »Ich schirme sie nicht ab, Dominik. Du kannst meine Gedanken nicht erkennen, weil ich es nicht will. Weil mein Wille stärker ist als deiner. Weil ich die Fesseln des Emotionalen schon vor langer Zeit abgestreift habe.«
    »Mein Wille ist stark!«
    »Glaubst du?«
    Wo bleibt deine Willenskraft, Dominik? Die Stimme erklang in seinem Innern – Norenes Lippen hatten sich nicht bewegt. Er fühlte ihre Präsenz, wie ein kaltes Etwas, das sich in ihm ausdehnte und alles andere gefrieren ließ.
    »Verschwinde aus mir!« Dominik presste die Hände an die Ohren, trommelte dann mit den Fäusten an seine Schläfen. »Verschwinde aus meinem Kopf!«
    Vertreibe mich, wenn du kannst. Ich sehe mich hier ein wenig um. Vielleicht gibt es die eine oder andere interessante Sache zu entdecken, obwohl ich das eigentlich bezweifle.
    Dominik versuchte, das fremde Selbst in seinem Innern zu packen und hinauszuwerfen, aber seine geistigen Hände glitten daran ab. Norenes Selbst dehnte sich in ihm aus, bis er den Eindruck gewann, dass sein Schädel nicht mehr genug Platz für sie beide bot und zu platzen drohte.
    Und dann war er wieder allein in seinem Kopf.
    »Lass uns jetzt zurückkehren«, sagte Norene und ging zur Tür. »Ich hoffe, du hast hier etwas gelernt.«
     
     
    Manchmal träumte Dominik davon, im heißen Wasser einer Therme zu sitzen und die violetten Flecken von den Fingerkuppen zu waschen. In den Träumen war er allein, nicht in Begleitung von Tal-Telassi, die das Bad für die Meditation oder leise Gespräche nutzten. Stundenlang saß er im dampfenden Wasser und rieb mit Reinigungstüchern an den Fingerspitzen. Aber so sehr er sich auch bemühte: Die Flecken blieben und verurteilten ihn dazu, in Tarion auf Kyrna zu bleiben, als einziger Junge in einem Lyzeum voller Mädchen und Frauen. Wenn er aus jenen Träumen erwachte, mitten in der Nacht, wenn er im Licht der einen Lampe, die immer eingeschaltet blieb, seine Hände betrachtete und die Flecken sah, so machte er sie für alles verantwortlich. Ihnen verdankte er, dass er allein war, dass Norene ihn von Tako getrennt und fortgebracht hatte, dass er sich an diesem Ort befand und Regeln beachten musste, die ihm nicht gefielen, die seine Freiheit begrenzten. Er wäre gern umhergewandert,

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