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Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)

Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)

Titel: Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ließen. Wo die Kombination aus lebendem Gewebe und Nanotechnik an ihre Grenzen stieß, mussten mechanische Servi organische Funktionen simulieren oder ersetzen. Das ZIB, so wusste Tako aus eigener Erfahrung, war die Endstation des Schreckens, der draußen im All begann.
    »Ich bin täglich mit dem Grauen des Krieges konfrontiert«, fuhr Orione fort. »Ich habe versucht, mir ein dickes Fell wachsen zu lassen und Anteil zu nehmen, ohne selbst zu leiden, aber ich glaube, das ist nicht möglich. Mitleid bedeutet eben das: mitzuleiden. Als die Last zu groß wurde, begann ich damit, gefühlsdämpfende Bione zu verwenden, so wie Sie bei Ihren Einsätzen. Aber sie bringen nur vorübergehende Erleichterung. Als Lobotome kann ich mich ganz darauf konzentrieren, Hilfe zu leisten. Nichts lenkt mich ab; meine Gedanken sind klarer.«
    Tako sah wieder auf den Jungen hinab. Er war der Medikerin dankbar dafür, dass sie ihn hier untergebracht hatte; das ZIB garantierte beste Pflege für ihn. »Haben Sie nicht …« Er hatte »das Gefühl« sagen wollen und korrigierte sich. »… den Eindruck, einen Teil Ihres menschlichen Wesens aufgegeben zu haben?«
    »Der Krieg gegen die Graken lässt niemanden von uns unberührt«, sagte Orione, und Tako wusste um die doppelte Bedeutung des letzten Wortes. »Manchmal muss man etwas aufgeben, um etwas anderes hinzuzugewinnen. Ich bereue meine Entscheidung nicht. Leid ist nicht unbedingt eine Bereicherung des Lebens.«
    »Aber es gehört zu unserer menschlichen Existenz.«
    Die Medikerin trat etwas näher an ihn heran und musterte ihn aufmerksam. »Sie versuchen, an allem festzuhalten, nicht wahr? Selbst daran.« Sie hob eine schmale Hand und deutete auf die Narbe in seinem Gesicht. »Befürchten Sie, weniger Sie selbst zu sein, wenn Sie das entfernen lassen?«
    Als Tako nicht antwortete, seufzte Orione leise. »Bitte entschuldigen Sie, Keil Karides. Ich muss mich um meine anderen Patienten kümmern.«
    »Natürlich.«
    Als die Medikerin gegangen war, blickte Tako erneut auf den Jungen, während seine rechte Hand reflexartig nach der langen Narbe im Gesicht tastete. Das grauweiße Band reichte vom Auge über die linke Wange bis zum Kinn, erinnerte ihn bei jedem Blick in einen Spiegel an Meraklon und seine Schuld. Als er sie berührte, entstanden Bilder vor dem inneren Auge, die schwer wie Blei in ihm ruhten. Sie waren nicht so deutlich wie die von einer Grakenpräsenz stimulierten Erinnerungen, aber sie brachten genug emotionale Intensität, um ihn zittern zu lassen. Die Beine eines Kinds, halb verkohlt. Männer, Gefährten, die ihn zu einem nahen Springer zerrten. »Komm, Tako, komm. Wir können nichts mehr für sie tun. Komm!« Aber er riss sich los und drehte sich um, wollte zu den Leichen seiner Frau und seines Sohns zurückkehren, als es am Himmel blitzte. Die Druckwelle einer Explosion hob ihn an und schleuderte ihn gegen das Stahlkeramikskelett eines geborstenen Gebäudes. Als seine Empfindungen zurückkehrten, befand er sich an Bord des Springers, und Blut quoll aus einem tiefen Schnitt in seinem Gesicht …
    Tako starrte auf den schlafenden, genesenden Jungen hinab und versuchte, keine verbrannten Beine zu sehen, keine Kronn am Himmel.
    »Bis bald … Dominik«, sagte er leise, und dann ging er ebenfalls.
     
     
    Während Tako durch die Bastion Airon wanderte, fertigte er mithilfe eines kleinen Rekorders einen zusätzlichen Bericht an, in dem er Einzelheiten des Grakentraums und seiner mentalen Kontakte mit dem Jungen schilderte. Zum ersten Mal nannte er auch seinen Namen, Dominik, und erstaunt nahm er dabei das eigene Widerstreben zur Kenntnis. Ein Name bedeutete Identität, und der fremde Name fühlte sich wie eine Verleugnung seines Sohnes an. Auf einer rein rationalen Ebene wusste Tako sehr wohl, wie unsinnig es war, auf diese Weise zu empfinden, doch die Gefühle entzogen sich wie so oft seiner Kontrolle. Wie um ihnen zu entkommen, blieb er in Bewegung, setzte seine lange Wanderung durch Airon fort und erwiderte Grüße, ohne zur Kenntnis zu nehmen, von wem sie stammten.
    Einmal blieb er an einem gewölbten Panoramafenster stehen, durch dessen rechte Hälfte man tief ins Innere der Bastion sehen konnte, während links der Blick ins All reichte. Doch Tako sah ein drittes Bild: sich selbst, sein Spiegelbild im transparenten Ultrastahl. Ein hochgewachsener, schlanker Mann stand vor ihm, gekleidet in einen schmucklosen, uniformartigen Zweiteiler, schwarz wie ein Moloch, schwarz wie die

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