Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2)
ÄdeF
Das Versteck war mehr als hundert Kilometer vom großen Vulkankrater mit der Brainstorm-Station entfernt. Dominique hatte es in Berm gefunden, beim geistigen Wandern: eine alte Siedlung, von den ersten Kolonisten auf Ennawah geschaffen und seit Jahrhunderten verlassen. Die wenigen Gebäude bestanden aus gehärteter, besonders widerstandsfähiger Synthomasse und befanden sich in einem Tal, geschützt vor dem eisigen Wind, der in diesen Breiten aus dem Polarbereich wehte. In einem davon hatten sich Dominique und Rupert eingerichtet.
Draußen ging der vierte Tag nach der Flucht aus dem Krater zu Ende, und wieder war er kürzer als die vorherigen. Schon jetzt lag die Temperatur unter dem Gefrierpunkt, und alles deutete darauf hin, dass die kommende Nacht einen neuen Kälterekord bringen würde. Dominiques Atem kondensierte, als sie durch den Schnee stapfte, der Behälter in ihrer rechten Hand voller Eisbrocken. An Trinkwasser mangelte es nicht, wohl aber an allem anderen. In den vergangenen Tagen hatte sie mit Fomion Ausflüge zu den anderen AFW-Niederlassungen auf Ennawah unternommen, um die Dinge zu stehlen, die sie unbedingt brauchten: Kleidung, Lebensmittel, Energiezellen. In einer am Äquator gelegenen Siedlung von Nonkonformisten wäre sie fast entdeckt worden, als sie natürliches Protein stahl, und daraufhin hatte sie noch mehr Vorsicht walten lassen. Dominique wusste von fünf Einrichtungen auf Ennawah, die in irgendeiner Verbindung mit den AFW standen, aber interstellare Raumschiffe gab es nur bei der Brainstormer-Station. Früher oder später mussten sie dorthin zurück, wusste Dominique. Besorgt fragte sie sich, wie lange sie noch warten konnten. In seiner letzten wachen, klaren Phase hatte Rupert gesagt, dass er die Crotha nahe fühlte. Aber selbst wenn sie jetzt erschienen wären: Ein entropisches Gefälle schützte den Bereich der Station, in dem sich die Raumschiffe befanden.
Er saß dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte: im Keller des Gebäudes, neben dem kleinen Heizgerät, den Rücken an die Wand gelehnt. Seit Stunden starrte er wieder ins Leere, gefangen in den Erinnerungen an seinen Albtraum. Wenn man wusste, wonach es Ausschau zu halten galt, konnte man die Stellen erkennen, an denen einst Augen und Mund des Knaben zugenäht worden waren.
Dominique begann damit, das Eis zu schmelzen und eine warme Mahlzeit zuzubereiten.
»Ich muss bald wieder los«, sagte sie. »Es ist nur noch wenig Proviant übrig.«
Sie klapperte mit Töpfen und Tellern, um die Stille zu vertreiben. Immer wieder glitt ihr Blick zu dem Mann, der aus dem gequälten Jungen geworden war, zu dem autistischen Mörder und missbrauchten Brainstormer. Das Wissen um sein Martyrium weckte unwillkommenes Mitgefühl in ihr. Sie wollte sich ihre Gleichgültigkeit Rupert gegenüber bewahren und nur an sich selbst denken, an ihren Zorn auf Keil Thorman, Medikerin Sintya und vor allem auf Joras Ebanar – niemand anders konnte ihre Entführung angeordnet haben. Sie wollte so schnell wie möglich nach Millennia zurück, um den Aufstand der Tal-Telassi zu unterstützen, der inzwischen stattgefunden haben musste, um sich an Ebanar zu rächen und ihrer Mutter zu zeigen, auf wen sie sich da eingelassen hatte.
Doch je mehr Zeit sie mit Rupert verbrachte, desto häufiger beschäftigten sich ihre Gedanken mit ihm. Manchmal glaubte sie sogar, sonderbare Parallelen zwischen ihnen zu erkennen. Rupert war von seinem eigenen Vater gepeinigt worden, auf eine unmenschliche Weise. Dominique hatte ebenfalls unter ihrem Vater gelitten, wenn auch auf eine ganz andere Art.
Sie überprüfte die Energiezellen. »Heute Nacht lassen wir das Heizgerät eingeschaltet«, sagte sie. »Es scheint sehr kalt zu werden.«
Vor zwei Tagen, bei einem der seltenen Gespräche mit Rupert, hatte sie den Grund für die kürzer werdenden Tage und das stetige Sinken der Temperaturen erfahren. Ennawah umkreiste Ormath auf einer stark elliptischen Bahn, und derzeit entfernte er sich der Planet von der Sonne. Das bedeutete eine Kältephase, die mehrere Jahre dauern würde.
Dominique beabsichtigte nicht, so lange auf Ennawah zu bleiben.
Als das Essen fertig war, berührte sie in Delm vorsichtig Ruperts Gedanken. Nach dem tiefen Kontakt gab es keine Barrieren mehr, die sie von seinem Selbst fernhielten, aber gelegentlich kam es noch zu sehr aggressiven Reaktionen, und es kostete sie viel Kraft, sich zu schützen.
Rupert blinzelte mehrmals, und sein Blick kehrte aus der
Weitere Kostenlose Bücher