Kantaki 06 - Feuerträume (Graken-Trilogie 3)
Tamara versuchte, sich daran zu erinnern, wie alt Zara 20 war. Hundertdreißig Standardjahre? Hundertvierzig? Noch nicht sehr alt. Vielleicht war es bei ihrem jetzigen Klon zu einer Degeneration gekommen – die Wahrscheinlichkeit dafür stieg um die zwanzigste Reinkarnation herum. In der rechten Hand mit den langen, knochigen Fingern ruhte die kleine Ampulle mit dem Gift, das einen schnellen, schmerzlosen Tod garantierte.
Tief in ihrem Innern schauderte Tamara. Das Ende eines Lebens war nie angenehm. Urängste erwachten dabei, trotz jahrhundertelanger Erfahrungen und emotionaler Exstirpation.
Zara sah zu ihr auf. »Wie wir hörten, hat Erasmus ausdrücklich Ihren Namen genannt, und er spricht für alle Maschinenzivilisationen.«
»Nur für die Tymionen«, korrigierte Tamara automatisch, als ob das eine Rolle gespielt hätte.
»Sie haben bereits Erfahrungen mit ihm gesammelt«, sagte Zara. Ihre Stimme klang nicht mehr ganz so fest. »Es gibt keine andere Tal-Telassi, die die Zäiden so gut kennt wie Sie.«
»Sie sind falsches Leben. Ich ertrage die Vorstellung nicht …«
»Es geht hier nicht darum, was Sie ertragen oder nicht, Tamara«, sagte Zara mit einer gewissen Schärfe. »Es geht darum, was getan werden muss. Wir alle müssen uns dem Gebot der Notwendigkeit fügen. Und Ihnen dürfte klar sein, dass sich uns hier eine einzigartige Chance bietet. Das Schiff des Konzils, die Taifun , hat sogar die Erlaubnis, Tymion direkt anzufliegen. Sie werden Gelegenheit haben, weitere wichtige Informationen zu sammeln, mehr als jemals zuvor.«
»Ich …« Tamara 14, tausendachthundert Jahre alt, suchte nach den richtigen Worten, um ihr Unbehagen zum Ausdruck zu bringen. »Ich fühle mich dieser Aufgabe nicht gewachsen.«
»Sie haben uns gute Dienste geleistet, und Sie werden uns auch weiterhin gute Dienste leisten, Tamara. Ich kenne Ihre Einstellung den Maschinenzivilisationen gegenüber, und ich weiß auch, dass Sie mit Ihrer Meinung nicht allein stehen. Viele Tal-Telassi lehnen die ›Emm-Zetts‹ als falsches Leben ab. Aber darum geht es nicht. Persönliche Ansichten spielen unter den gegenwärtigen Umständen keine Rolle. Objektive Erfordernisse haben absoluten Vorrang. Sehen Sie sich die Muster in Gelmr an, Tamara. Große Veränderungen stehen bevor. Ob zum Guten oder zum Schlechten … das bleibt abzuwarten. Golgatha bedroht uns alle, nicht nur das Dutzend, sondern auch Millennia. Die Streitkräfte des Konzils können keinen wirkungsvollen Schlag gegen das Graken-Zentrum im Ophiuchus-Graben führen. Ohne massive Hilfe der Zäiden wäre eine Offensive zum Scheitern verurteilt. Helfen Sie mit, die Zäiden dazu zu bewegen, diese Hilfe zu leisten – das ist sehr, sehr wichtig, Tamara.«
Zaras Finger bewegten die kleine Ampulle, und Tamara glaubte schon, dass sie sie zerbrechen und damit ihr zwanzigstes Leben beenden wollte. Doch nach einigen schweren Atemzügen fuhr die Sterbende fort: »Fast ebenso wichtig ist es, mehr über die Zäiden und ihre Bestrebungen herauszufinden. Sehen Sie sich die Maschinenzivilisationen von innen an, Tamara. Gewinnen Sie einen Eindruck von ihrem tatsächlichen Entwicklungsstand. Finden Sie heraus, ob Erasmus und seine Artgenossen irgendwann zu einer Gefahr werden könnten. Wir müssen gewappnet sein.«
Zara hustete, und ihr fragiler Körper erbebte. Die beiden Tal-Telassi im Hintergrund bedienten die Kontrollen der Reinkarnationsgeräte.
»Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich Ihrer Aufgabe mit ganzer Kraft widmen«, sagte Zara. »Millennia verlässt sich auf Sie.« Etwas leiser fügte sie hinzu: »Gehen Sie jetzt.«
Tamara neigte kurz den Kopf, drehte sich um und verließ den Raum.
Hinter ihr zerbrach die Ampulle, und Zara starb.
Während der Vorbereitung erfuhr Tamaras Bewusstsein eine multiple Splitterung, und ihr Körper nahm neues mnemisches Gewebe auf, das selbst bei einem invasiven Bioscan nicht von ihrem ureigenen Körpergewebe zu unterscheiden war. Informationen unterschiedlicher Art strömten in ihr Selbst: die neuesten Daten über Entwicklungen bei den vierzehn bekannten Maschinenzivilisationen, unter ihnen Tymion, wobei technisch-kulturelle Evolution und Ressourcen die wichtigste Rolle spielten (aber alles war wichtig); Hinweise auf den persönlichen Hintergrund und die militärischen Leistungen von Lanze Adriar Hokonna, der an der Mission teilnehmen würde (offenbar auf Bitte von Zacharias, wie aus dem Konzil der Überlebenden verlautete) und bereits auf dem
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