Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
wird, dass Deutschland der größte Nettozahler sei. In absoluten Zahlen stimmt das zwar, wir sind ja auch das bevölkerungsreichste Land. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung liegen wir aber nicht an erster Stelle. Da hatten 2011 die Italiener (ausgerechnet!) netto einen höheren Anteil nach Brüssel überwiesen. Netto meint: Man hat mehr gezahlt, als an Subventionen und Ähnlichem aus Brüssel zurückkam. Zunächst geht nämlich alles in einen Topf, dann wird verteilt, und erst danach sieht man, wie viel man »netto« gezahlt hat. Oder empfangen – Länder wie Polen, Litauen oder Ungarn gehören regelmäßig zu den Netto-Empfängern. Das liegt vor allem daran, dass sie am meisten von den EU -Ausgaben profitieren, was auch so gewollt ist – es wird ja bewusst Geld von den reichen auf die ärmeren Länder umverteilt.
    Dazu dienen unter anderem zwei große Ausgabenposten mit den klangvollen Namen »Strukturfonds« und »Kohäsionsfonds«. Als ich Ende der neunziger Jahre als Korrespondentin in Brüssel arbeitete, standen wir mit mehreren Kollegen in einer Kaffeepause zusammen und machten einem portugiesischen Korrespondenten ein Kompliment zu seiner offensichtlich brandneuen schicken Lederjacke. »Ja, Dank an den Kohäsionsfond!«, antwortete der. War natürlich ein Witz – eine Anspielung auf die Subventionen, die Portugal aus Brüssel bekommt. Wirtschaftlich schwächere Länder werden mit solchen Fonds unterstützt, vor allem wenn sie neu beigetreten sind. Früher waren das vor allem die südlichen Länder, inzwischen sind die Osteuropäer hinzugekommen.
    Außerdem machen die Agrarsubventionen einen großen Teil des EU -Budgets aus. Wer also viel Landwirtschaft hat, bekommt auch mehr aus dem gemeinsamen Topf. Dass es bei dem Run auf die Subventionstöpfe nicht immer ganz sauber zugeht, kann man sich denken. Regelmäßig machen kuriose Beispiele Schlagzeilen. Die doppelt und dreifach gezählten Schafe in Griechenland werden hier gern genannt. Aber auch in deutschen Landen ist man ganz gut im Zugriff auf EU -Töpfe: Im flachen Mecklenburg-Vorpommern wurde zum Beispiel von der EU ein Raum für Höhentraining gefördert (mit schlappen 700000 Euro).

Wie hoch ist der Butterberg – und wo plätschert der Milchsee?
    Peinliche Absurdität: Während in Afrika viele hunderttausend Menschen an Hunger starben, ließ die EU tonnenweise Lebensmittel produzieren, die keiner brauchte. Die entsprechenden Bilder hat wohl jeder noch im Kopf. Inzwischen ist damit glücklicherweise Schluss. Das hat sich allerdings noch nicht überall herumgesprochen, sodass viele Menschen die EU immer noch als grandiose Verschwendungsmaschine ansehen. Wie kam es überhaupt dazu? Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Europa die Lebensmittel knapp und die Menschen arm. Vor allem die Bauern verdienten viel zu wenig. Deshalb kam die damalige EWG auf die Idee zu helfen: Es gab Zuschüsse, wenn man seinen Hof modernisierte. So sollten mehr Nahrungsmittel zu geringeren Kosten hergestellt werden können. Und das klappte. Es klappte nur leider viel zu gut. Denn damit die Bauern besser planen konnten, garantierte ihnen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft feste Preise. Gedacht war das so, dass man die Differenz zwischen dem niedrigeren »Marktpreis« und dem europäischen »Garantiepreis« ausgleicht. Der Preis auf den Weltmärkten war niedriger, weil auf anderen Kontinenten die Bauern billiger produzierten. Auch vor dieser Konkurrenz sollten die europäischen Bauern geschützt werden. Und deshalb, die Bauern sind ja nicht dumm, fabrizierten sie eifrig riesige Mengen Milch, Butter, Getreide und Fleisch. Denn je mehr sie herstellten, desto mehr Geld bekamen sie aus Brüssel. Nach Jahren des Mangels herrschte nun unfassbarer Überfluss. Aber versprochen ist versprochen, und so musste die EU die überschüssigen Lebensmittel selbst aufkaufen. In gigantischen Kühlhäusern stapelten sich Butterpäckchen bis unter die Decke, »Milchseen« stauten sich, in Großlagern faulten Tomaten und Orangen vor sich hin – und der ganze Wahnsinn wurde bezahlt von Steuergeldern der Mitgliedstaaten.
    1985 saß Europa schließlich auf einem Überschuss von 16 Millionen Tonnen Getreide, einer Million Tonnen Butter, 870000 Tonnen Rindfleisch und 520000 Tonnen Magermilchpulver. Hätte man das nicht verschenken können? In Afrika herrschte damals großer Hunger, es war aber technisch fast unmöglich (und wäre astronomisch teuer gewesen), die Lebensmittel von hier nach dort zu

Weitere Kostenlose Bücher