Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
schaffen. Und es wäre letztlich auch nicht gut gewesen, denn damit hätte man wiederum den afrikanischen Bauern jede Chance genommen, ihre wenigen Waren noch zu verkaufen, angesichts der Geschenkeladungen aus Europa. Mit den Agrarsubventionen und Einfuhrzöllen wurde die billigere Konkurrenz aus Entwicklungs- und Schwellenländern aber auch schön vom europäischen Markt ferngehalten; für diesen »Protektionismus« ist die EU immer wieder scharf kritisiert worden. In den letzten zehn Jahren wurden die Exporthilfen allerdings massiv abgebaut und der Markt für Entwicklungsländer geöffnet.
Erst 2007 waren die Milchseen vollständig trockengelegt und der Butterberg abgeschmolzen. Dafür wurde vorher unter anderem jahrelang »Weihnachtsbutter« unters Volk gebracht. Maximal vier Päckchen pro Familie kosteten im Dezember bis zu 70 Pfennig (rd. 35 Cent) weniger als sonst.
Aber die EU konnte die Subventionen nicht komplett einstellen und den Bauern die Lebensgrundlage wieder entziehen. Man wollte auch nicht, dass Europa keinen ausreichenden eigenen Nahrungsmittelnachschub hat. Außerdem gehören Bauernhöfe zum Landschaftsbild und zur europäischen Lebensart dazu. Es wäre ja auch etwas traurig, wenn es in Europa Kühe nur noch im Zoo gäbe. Den Bauern wird jetzt eher eine Art direktes Gehalt gezahlt, und nicht eine Subvention pro Liter Milch, egal, wie viel sie produzieren. Außerdem ging man dazu über, die Produktion der einzelnen Betriebe zu begrenzen. Es wurde Geld dafür bezahlt, vorhandene Felder brachliegen zu lassen, statt dort Vieh zu halten oder Getreide anzubauen. Aber auch dabei gilt weiter das Prinzip: Wer viel hat (einen großen Hof), dem wird viel gegeben. Prinz Charles zum Beispiel ist als Großgrundbesitzer mit seinen Ländereien ein großer Subventionsempfänger in der EU . Und sogar der Fürst von Monaco bekommt Agrarsubventionen. Nicht ganz im Sinne des Erfinders ist auch, dass Golfclubs und Reitvereine Landwirtschaftssubventionen beziehen (weil zu ihnen nun mal größere Flächen gehören, dass da nur Gras wächst, spielt keine Rolle). Die EU -Kommission will solche fehlgeleiteten Subventionen zwar abschaffen – doch das ist nicht so einfach. Genau genommen gibt es in der Politik, ob in Brüssel oder Berlin, nichts Schwierigeres, als Subventionen zu kürzen! Denn dann wird irgendwem etwas weggenommen, und das gibt immer Ärger.
Aber zumindest gibt es keine abstrusen Milchseen mehr. Und insgesamt bekommen Europas Bauern weniger staatliche Subventionen als US -amerikanische Bauern. Ganz allgemein bleibt die Erkenntnis, dass die Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte eindrücklich demonstriert, dass weder freie, ungeregelte Märkte Schwierigkeiten »von sich aus« lösen, noch politische Steuerungsmaßnahmen automatisch zum gewünschten Ziel führen.
Ökonomen gehen davon aus, dass angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums der Bedarf an Agrarprodukten künftig steigen wird und damit auch die Weltmarktpreise für Weizen etc. Umso weniger subventionsbedürftig werden dann europäische Bauern sein, so die hoffnungsvolle Prognose. Ein Gutes hatte die Landwirtschaftspolitik immerhin: Auf keinem anderen Gebiet hat Europa von Anfang an so eng zusammengearbeitet. Die Agrarpolitik macht auch heute den größten Teil des EU -Haushalts aus; sie ist insofern immer noch das Kernstück der Europapolitik, zu dem im Laufe der Jahre immer mehr Bereiche hinzukamen.
Mal ganz pragmatisch: Wo liegen die Vor- und Nachteile der Europäischen Union?
Die EU hat offenbar einiges zu bieten, sonst würden nicht so viele Länder danach drängeln, Mitglieder im Club werden zu dürfen. Und bisher ist noch nie ein Land ausgetreten. Inzwischen sind die meisten europäischen Länder in der EU . Die wichtigste Ausnahme ist wohl die Schweiz, die zwar mitten in Europa liegt, trotzdem nicht mitmachen will. Aber immerhin: Das »Schengener Abkommen« haben auch die Schweizer 2005 unterzeichnet. Die Freizügigkeit im Schengener Raum ist ein Vorteil, den man als Bürger sehr direkt empfindet. Wer sich daran erinnert, wie man früher zur Urlaubszeit im heißen Pkw stundenlang vor dem Schlagbaum warten musste, ist dankbar dafür, heute ohne irgendwelche Kontrollen kreuz und quer durch Europa kurven zu können. Außerdem nützen solche Reise-Erleichterungen nicht nur Privatleuten, sondern auch Firmen, deren Lastwagen mit Waren so ebenfalls schneller und damit billiger ans Ziel kommen.
Daran zeigen sich gleich zwei Dinge.
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