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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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automatisch überschätzt wird. Dagegen hilft allerdings die »Last-Birthday-Methode«: Es soll derjenige im Haushalt antworten, der zuletzt Geburtstag feierte. Das ist dann wieder ein Zufallsprinzip, weil es den konservativen Familienvorstand genauso treffen kann wie den 18-jährigen Sohn, der vorhat, die Piraten zu wählen.
Viele junge Wähler haben nur noch ein Handy, aber keinen Festnetzanschluss und werden daher in Telefonumfragen nicht berücksichtigt.
Umfragen sind nur Momentaufnahmen: Viele Leute sagen am Montag etwas anderes als am Sonntag, je nach Situation und Stimmung. Man ändert seine Meinung heute schneller als zu Zeiten, in denen das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Partei noch tiefer verwurzelt war. Darum kann sich innerhalb von wenigen Tagen das Meinungsbild gewaltig verschieben, die Umfragen veralten immer schneller. Es kann also vorkommen, dass Parteien schon als Sieger gefeiert werden, die dann doch knapp verlieren. ARD und ZDF veröffentlichten bisher außerdem in der letzten Woche vor dem Wahltag keine Umfrageergebnisse mehr. Daher kann am Wahltag das Ergebnis deutlich anders aussehen, als noch zwei Wochen vorher erfragt worden war. Das geschah zum Beispiel bei der Bundestagswahl 2005, als alle Forschungsinstitute die CDU / CSU klar vorne sahen. Doch dann wurde das Ergebnis extrem knapp, denn die SPD hatte unheimlich aufgeholt. Später schimpften alle auf die Meinungsforschungsinstitute und deren »falsche Vorhersagen«. 2013 wird das ZDF erstmals auch in der Woche vor der Wahl noch Umfragen veröffentlichen.

Der Sozialstaat – mehr als eine Floskel?
    Auch Tiere wissen, dass sie gemeinsam stärker sind als allein. Sie jagen im Rudel und verteidigen sich im Verband. Die Menschen taten schon zu Urzeiten das Gleiche: im Kollektiv Mammuts jagen, gemeinsam Höhlen fegen. »Soziales Verhalten« also – doch wie weit geht man damit? Bekommen alle gleich viel vom Mammutfleisch ab, auch die Ungeschickten oder Faulen, die sich bei der Jagd hinter den anderen verstecken?
    Moderne Staaten geben dieser Weltsicht einen verbindlichen Rahmen. Sie schreiben bestimmte Abgaben vor und sichern ihren Bürgern im Notfall grundlegende Leistungen zu. Manchmal mag man denken, es wäre viel einfacher, wenn sich jeder um seinen eigenen Kram kümmern würde, und fertig. Dann braucht man keine Steuern, keine Gesetze. Wie im Wilden Westen, jeder erobert sich sein eigenes Stück Land und verteidigt es auch selbst. Aber selbst im Wilden Westen haben die Siedler schnell angefangen, sich zusammenzutun und gemeinsame Wagenburgen zu bilden oder Sheriffs zu wählen. Natürlich kann man im Einzelnen darüber streiten, ob jeder Arbeitslose einen Kleinwagen braucht oder nur eine Bahnfahrkarte. Über die konkrete Ausgestaltung des Sozialstaats wird daher auch permanent diskutiert. Aber grundsätzlich ist es doch ein beruhigendes Gefühl, zu wissen: Wenn ich so richtig auf die Schnauze falle, vielleicht arbeitsunfähig werde, dann lassen die anderen mich nicht im Stich.
    Andererseits: Wenn ich eine tolle Idee habe oder hart arbeite, will ich meinen Erfolg doch auch genießen! Wenn ich dadurch mehr verdiene, möchte ich davon nicht alles abgeben müssen. Die Möglichkeit, selbst etwas auf die Beine zu stellen, sich mehr anzustrengen als andere und dafür mit Reichtum oder Ruhm belohnt zu werden, ist zweifellos eine großartige Motivation. Letztlich geht es um die Frage, wie man die Schwächeren schützt, ohne die Stärkeren zu frustrieren. Und vor allem geht es darum, von welcher Startposition jeder in den gesellschaftlichen Wettbewerb einsteigt. Die Kinder reicher Eltern haben es deutlich leichter, selbst reich zu werden, als die Kinder armer Eltern. Wo bleibt da die Chancengleichheit? Andererseits: Jegliches Erbe wegzusteuern, wäre ebenfalls nicht gerecht. Man arbeitet ja schließlich auch für die Zukunft der eigenen Kinder und will ihnen zum Beispiel das Eigenheim vererben dürfen. Für ein entspanntes Miteinander sind also grundsätzliche, allgemein verbindliche Regeln nötig, auf die sich eine Gesellschaft einigt.
    Erst das Fressen, dann die Moral
    Im Lauf der Jahrtausende hat sich dabei herausgestellt: Der Mix macht’s. Eine stabile Situation entsteht, wenn Menschen relativ angstfrei leben können. Wenn man ständig mit der Waffe unterm Kopfkissen schlafen muss, weil man befürchtet, ausgeraubt zu werden, ist das nicht sehr angenehm. Beobachten kann man das in Ländern, in denen der Reichtum extrem ungleich

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