Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
verteilt ist. In afrikanischen oder südamerikanischen Ländern zum Beispiel. Die Reichen (und das sind durchaus nicht nur Super-Millionäre) leben in Ghettos, in Häusern, die von hohem Stacheldraht umzäunt sind. In viele Stadtviertel wagt sich das Bürgertum gar nicht rein. Ins Restaurant in der Innenstadt fährt man nur mit dem Taxi bis vor die Tür. Frei fühlt man sich unter solchen Umständen nicht. Da lebt es sich in Deutschland doch sehr viel unbeschwerter – aber dafür zahlt man auch einen Preis in Form relativ hoher Steuern und Abgaben.
Den Rahmen dafür stellten einst die Kirchen bereit, die den »Zehnten« kassierten (also zehn Prozent der Einnahmen) und davon zum Beispiel die Armen verköstigten und einkleideten. Heute hat der Staat diese Aufgabe übernommen, aber immer noch gelten die Grundsätze eines menschlichen, solidarischen Miteinanders. Leistung soll sich lohnen, wer viel kann oder weiß, soll davon profitieren – aber wir müssen auch denjenigen helfen, die weniger Glück im Leben haben. Auf freiwilliger Basis funktioniert das allerdings erfahrungsgemäß nicht. Vereinfacht gesagt, ist es wie beim Küchendienst in einer Studenten- WG . Eine Woche ist der eine dran, in der folgenden Woche der andere, und so geht es immer reihum. Aber was passiert, wenn plötzlich einer nicht mitmacht? Dann müssen die anderen seinen Dreck wegputzen. Und wenn der Zweite auch keine Lust mehr hat … und der Dritte schließlich frustriert hinschmeißt, weil alle anderen ja auch nicht mehr mitmachen … dann verlottert die Bude! Ein solidarisches System kann eben schnell zusammenbrechen. Deshalb braucht man Regeln, die es stützen. Und Mindeststandards, auf die man sich verständigt: Wie viel auch die bekommen, die gar nicht arbeiten (können).
Denn »erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!«, schrieb Bertolt Brecht bereits 1928 in der »Dreigroschenoper«. Sprich: Erst wenn die eigenen Grundbedürfnisse nach Essen, Kleidung, Wohnung befriedigt sind, kann man an die anderen denken. Da hatte er recht, und deshalb ist eine erfolgreiche Wirtschaft der Mittelpunkt jeder Politik.
Vor 1000 Jahren wurden die Menschen überall auf der Welt nur etwa 24 Jahre alt, und diese kurze Zeit litten die allermeisten von ihnen Hunger und Durst und an unheilbaren Krankheiten. Das blieb noch 800 Jahre so – einigen wenigen ging es sehr gut, die meisten aber lebten im bitteren Elend. Erst mit der »industriellen Revolution« (also der Erfindung von Maschinen, die viele Arbeiten übernahmen oder erleichterten) stiegen Lebensstandard und Lebenserwartung. Allerdings nur in Kontinentaleuropa und Nordamerika. Erst kurz vor dem Jahr 2000 erreichte die wirtschaftliche Revolution auch Südostasien.
Doch wie sorgt man dafür, dass die Wirtschaft gut läuft und zugleich möglichst viele etwas davon haben? Dazu gibt es bekanntlich drei große Theorien: »Freie Marktwirtschaft«, »Lenkungswirtschaft« (auch »Zentralverwaltungswirtschaft« oder »Planwirtschaft« genannt) und zwischen diesen beiden Extremen die »Soziale Marktwirtschaft«.
Wie kommt ein Staat zu Wohlstand?
Wenn man über Wirtschaft spricht, erwähnt früher oder später immer irgendwer die »unsichtbare Hand« von Adam Smith (1723–1790). Der schottische Wirtschaftsphilosoph erklärte 1776 in seinem Buch »Der Wohlstand der Nationen«, wie der Markt funktioniert (oder jedenfalls, wie er sich das vorstellte). Nämlich als eine Art automatischer Koordinator, der all die individuellen Einzelpläne sinnvoll zusammenbringt. Er beschrieb das so: Wenn Menschen auf einem freien (ungeregelten) Markt aufeinandertreffen, wird jeder versuchen, für sich den größtmöglichen Vorteil zu erzielen. Die Gesellschaft wird dabei nicht von oben dirigiert, sondern lenkt sich selbst. Denn der eine will seine Ware so teuer wie möglich verkaufen, der andere will sie so billig wie möglich erwerben. Wenn nun genug Leute da sind, bildet sich durch Angebot und Nachfrage ein »Preisgefüge«: Drei Gemüsehändler nebeneinander werden ihre Tomaten zu einem in etwa gleichen Preis verkaufen, denn wenn einer viel teurer ist als die anderen, kaufen die Kunden natürlich bei der Konkurrenz! »Wie von einer unsichtbaren Hand geleitet«, so Smith, würde der Markt den Preis, aber auch das Warenangebot selbst optimal regeln. Auch die heute bekannte Vielfalt des Warenangebots entsteht so: Wenn einer nicht nur Tomaten verkauft, sondern auch noch Cherrytomaten und Tomatensaft, kann er mehr Kunden
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