Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
anziehen und an mehr Produkten verdienen. Und so werden immer neue Produkte entwickelt.
Zwei Einschränkungen machte Smith allerdings damals schon: Es muss mehr als einen Anbieter geben, der sonst ein Monopol hätte und den Preis beliebig hoch ansetzen kann. Und es darf auch keine Kartelle geben. Also Preisabsprachen zwischen Großfirmen, wie es zum Beispiel immer wieder den Tankstellenketten vorgeworfen wird. Andererseits: Die Tankstellenbetreiber wissen auch jeder für sich, wann der erste Ferientag ist und dass die Leute kurz vorher noch mal volltanken. Die jeweiligen Eigeninteressen reichen, um die Gleichzeitigkeit der Preiserhöhungen zu erklären.
Märkte als solche haben mit Sicherheit einen Vorteil: Sie ermöglichen es, Fähigkeiten besser zu nutzen. Und zwar durch Arbeitsteilung. Anstatt alles selbst machen zu müssen, macht man das, was man am besten kann, und bietet dieses Produkt oder diese Dienstleistung anderen an. Es baut ja heute auch kaum jemand zum Beispiel sein Haus komplett selbst, obwohl es ginge. Wir kaufen Autos (und bauen sie nicht selbst), und die Autos wiederum sind auch wieder in Arbeitsteilung hergestellt worden (einer montiert, einer lackiert usw.). Denn Fachleute können es schneller und besser – und dadurch meist auch billiger. Wenn es keine Arbeitsteilung gäbe, sondern jeder für Haus und Nahrung selbst sorgen müsste, wäre übrigens auch keine Zeit für Bildung. Die Entwicklung der Schriftsprache zum Beispiel war erst möglich, als menschliche Gesellschaften sesshaft wurden und nicht mehr nomadisch durch die Prärie zogen. Ackerbau und Vorratshaltung sind die Voraussetzung dafür, dass nicht mehr alle Mitglieder der Gesellschaft mit der Lebensmittelproduktion beschäftigt sind, sondern einige Zeit finden, sich das Schreiben beizubringen. Ohne Arbeitsteilung wäre also auch keine höhere Kultur möglich; für mehr als ein paar Geschichten am Lagerfeuer und die immer gleichen Tontöpfe bleibt dann kaum Zeit. Genauso wichtig ist der Handel: Wenn gereist wird und unterschiedliche Gesellschaften aufeinandertreffen, kommt es nicht nur zum Austausch von Waren. Man lernt voneinander und inspiriert sich gegenseitig, es entstehen Städte als Handelszentren. Mir ist das mal sehr bewusst geworden, als ich das »Goldmuseum« in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá besuchte. Da waren viele zauberhafte Dinge aus Gold, Edelstein und Kupfer zu besichtigen. Schmuck, Gefäße, religiöse Opfergaben. Aber die vielen Exponate blieben sich in Form und Gestaltung über die Jahrhunderte sehr ähnlich und, ohne den kolumbianischen Urvölkern zu nahe treten zu wollen, auch ziemlich einfach. Als ich vor der x-ten Vitrine stand und las, »Ohrring aus dem 13. Jahrhundert« oder »Salbengefäß aus dem 15. Jahrhundert«, die sich von den Ohrringen und Salbengefäßen des 7. oder 8. Jahrhunderts zumindest aus meiner laienhaften Sicht nicht so sehr unterschieden, musste ich daran denken, dass in meiner Heimatstadt im 13. Jahrhundert der Bau des Kölner Doms begann und in Italien im 15. Jahrhundert Leonardo da Vinci die Mona Lisa malte. Kein Grund für kulturelle Arroganz, aber doch ein Hinweis darauf, wie unterschiedlich sich die offenen, hoch arbeitsteiligen und handeltreibenden Gesellschaften in Europa entwickelten im Vergleich zu den eher geschlossenen Gesellschaften im Dschungel oder im dünn besiedelten Hochland Südamerikas.
Zurück zu Adam Smith: Arbeitsteilung und Markt (Tausch) sorgen also dafür, dass jeder seine Talente optimal einsetzen kann. Das ist jedenfalls die Theorie. Sie ist durchaus umstritten, und es gibt noch ein Bonusproblem mit der Spezialisierung: Was passiert, wenn man gar nichts kann oder wenn das, was man kann, gerade nicht gefragt ist?!
In Deutschland haben wir aber ohnehin keine »Freie Marktwirtschaft« (das von Adam Smith beschriebene System), sondern eine »Soziale Marktwirtschaft«. Als sie 1949 eingeführt wurde, war der Begriff eher ein Werbeslogan des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard. Er gilt als »Vater der Sozialen Marktwirtschaft«, was aber eigentlich nicht stimmt. Die Theorie entwickelt hat nicht der Politiker Erhard, sondern der Ökonom Alfred Müller-Armack. Mit der Sozialen Marktwirtschaft verband sich seinerzeit übrigens auch der Begriff des »Neoliberalismus«, der heute als Schimpfwort für Marktradikale verwendet wird. Doch ursprünglich meinte er einen dritten Weg: liberal, aber mit sozialem Gewissen. Ludwig Erhard übernahm diesen Gedanken,
Weitere Kostenlose Bücher