Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
ein gerechteres Deutschland.« Das ist einer dieser Slogans, die alle Parteien verwenden können; für die gerechte Sache sind sie ja schließlich alle. Tatsächlich glaubt nur noch jeder zehnte Bürger daran, dass die Wahlversprechen wahr gemacht werden. Allerdings ist die Skepsis unterschiedlich stark ausgeprägt: Nur 5 Prozent der Grünen- und Die-Linke-Wähler sind der Meinung, Politiker sagen die Wahrheit; immerhin 11 Prozent aller FDP -Sympathisanten hoffen auf eine Einlösung der Versprechen nach der Stimmauszählung.
Ein schönes Beispiel für ein gebrochenes Wahlversprechen ist die Umsatzsteuererhöhung 2007: Damals stieg die auch »Mehrwertsteuer« genannte Abgabe von 16 Prozent auf 19 Prozent. Dabei hatte die CDU vor der Bundestagswahl 2005 nur eine Erhöhung auf 18 Prozent gefordert – und die SPD diese sogar als »Merkelsteuer« empört abgelehnt! Nach der Wahl jedoch bildeten SPD und CDU eine gemeinsame Regierung – und beschlossen eine Umsatzsteuererhöhung. Nun hätte man ja durchaus mit einem Kompromiss rechnen können: Die SPD will keine Erhöhung, die CDU ist für 2 Prozentpunkte, also trifft man sich in der Mitte, und die Steuer steigt auf 17 Prozent. Aber nein, es wurde sogar noch mehr als von der CDU ursprünglich gefordert! Mit haushaltspolitischen Notwendigkeiten wurde die Kurskorrektur erklärt, im Klartext: Wir brauchen die Kohle! Der damalige Vizekanzler Franz Müntefering ( SPD ) wehrte sich empört dagegen, auf seine Wahlversprechen festgelegt zu werden: »Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair!«
Der Wahlkampf als »Geschwätz von gestern«
Die FDP wiederum hat sich schwer in die Bredouille gebracht, als sie in den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2009 eines ihrer Wahlversprechen tatsächlich durchsetzte: eine Mehrwertsteuersenkung für Hotels. Sie wollte ihre Wähler nicht enttäuschen, doch CDU -Finanzminister Wolfgang Schäuble warnte: »Das werdet ihr noch bitter bereuen.« Tatsächlich machte sich die FDP mit dieser als Klientelpolitik empfundenen Steuersubvention äußerst unbeliebt. Es ist halt riskant, nur eine sehr kleine Wählergruppe zu beglücken. Und nur mit den Wählerstimmen dankbarer Hoteliers kommt man auch nicht über die 5-Prozent-Hürde.
Wenn die Stimmverteilung ganz anders ausfällt als erwartet, kann das ebenfalls ein Anlass sein, seine Versprechen zu brechen. Bei der Landtagswahl in Hessen 2008 bekam die SPD weniger Stimmen als erwartet, Die Linke mehr. Die SPD hatte versprochen, keinesfalls mit der Partei Die Linke eine Koalition einzugehen. Das hatte die Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti natürlich vor allem deswegen gesagt, weil sie hoffte, dadurch mehr Stimmen zu bekommen. Die Hoffnung wurde allerdings enttäuscht. Was tun? Bei Einhaltung ihrer Wahlaussage hätte die SPD nicht regieren können. Also entschieden Ypsilanti und der damalige SPD -Chef Kurt Beck, sich von den Linken »dulden« zu lassen: Sie ließen sich im Landtag mit den Stimmen der Linken als Regierung wählen, ohne aber offiziell mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Solche Beispiele zeigen, dass stimmt, was schon der erste deutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer von der CDU , erkannte: »Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!« Im Wahlkampf versprechen eben alle munter, was die Wähler hören wollen – und hoffen bestimmt ernsthaft, dass all dies hinterher auch zu realisieren ist. Kommt eine Partei an die Macht, kann sie aber doch nicht alles umsetzen oder finanzieren, was sie in Aussicht gestellt hat. Weil das Geld nicht reicht (der berühmte Kassensturz muss dann als Entschuldigung herhalten) oder weil der Koalitionspartner sich sperrt. Da in Deutschland meistens Koalitionen regieren, schlägt die Stunde der Wahrheit meist in den harten Koalitionsverhandlungen nach einem Wahlsieg. Schon geht es los mit den Kompromissen. Insofern ist ein »Wahlversprechen« im Grunde nur ein Werbespruch, dessen einziger Zweck darin besteht, markant zu umreißen, was so ungefähr im Angebot ist: »Wenn wir könnten, wie wir wollten, dann würden wir Folgendes tun …«
Die gewählten Abgeordneten jedenfalls sind am Ende weder verpflichtet, sich an ihre eigenen Versprechen zu halten, noch an die Wünsche ihrer Partei – sie sind laut Grundgesetz nur ihrem Gewissen verpflichtet.
Wer aber nicht mal versucht, die gegebenen Versprechen einzulösen, geht damit natürlich das Risiko ein, beim nächsten Mal nicht wiedergewählt zu
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