Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Medwedew dieses Amt, Putin wurde Ministerpräsident, danach wurde der Spieß wieder umgedreht. In Russland gibt es dazu einen schönen Witz: Putin und Medwedjew sind im Restaurant. Putin bestellt ein Steak. Die Kellnerin fragt: »Und die Beilage?« Antwort Putin: »Die Beilage nimmt auch ein Steak.«
Das alles lässt den Spruch von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, dass Putin »ein lupenreiner Demokrat« sei, fast schon lustig erscheinen, wenn die Verhältnisse nicht so traurig wären. Ein lupenreiner Demokrat ist Putin ganz sicher nicht. Aber: Er ist demokratisch gewählt. Auch nach Ansicht internationaler Beobachter sind die Präsidentschaftswahlen in Russland alles in allem ordentlich abgelaufen. Es gab Einschüchterungen, es gab eine Übermacht der Regierung in den Medien, es wurden Putin-Wähler busweise zu den Urnen gekarrt. Aber offensichtliche Wahlfälschungen wie in einer Diktatur gab es nicht. Und es gab Alternativen, es stand nicht nur eine Partei zur Wahl wie zu Sowjetzeiten. Ich war bei den letzten Wahlen 2012 selbst in Moskau und habe vor Wahllokalen Interviews mit russischen Bürgern geführt, die dort in der Schlange warteten. Es gab querbeet unterschiedliche Stimmen, auch regierungskritische. Niemand hat uns am Filmen gehindert, und die Moskauer, mit denen ich mich dort unterhielt, wirkten trotz der offensichtlichen freiheitlichen Einschränkungen, die es in Russland gibt, nicht verängstigt, sondern äußerten sich relativ offen über ihre politische Haltung. In unserer Live-Sendung am Roten Platz, immerhin ein zentraler politischer Ort für den Kreml, konnten wir auch einen der führenden russischen Oppositionellen interviewen, der seine Wut und Enttäuschung über den Ausgang der Wahl formulierte, ohne dass er oder wir ein Problem bekamen. Das wäre zu Sowjetzeiten undenkbar gewesen und wäre heute noch in Peking so nicht möglich.
Zugleich war auffällig, wie Putin & Co jubelnde Massen aus der Provinz zur zentralen Wahlparty in Moskau herankarrten. Moskau ist insgesamt eine eher Putin-kritische Stadt; da gab es nicht so viel Jubel. Die große Feier mit begeisterten Anhängern, bei der Putin sich auch noch fernsehgerecht eine Träne der Rührung ins Knopfloch schob, war insofern wunderbare Sowjetpropaganda der alten Schule.
Unterm Strich ist Russland ein »semi-autoritärer« Staat, der Demokratie zulässt, aber nur in Grenzen, die der Kreml definiert. Wer sich der Regierung in den Weg stellt, erfährt diese Grenzen auch recht schnell, nur viel subtiler, als das in China der Fall ist. Demonstranten werden festgenommen, ausländische politische Stiftungen bekommen Besuch von der russischen Staatsgewalt usw. Das ist dann nicht so offensichtlich wie in China, wo Regimekritiker vor aller Welt zusammengeschlagen und ins Gefängnis gesteckt werden. Aber ein freies Land ist Russland wahrlich nicht. Zugleich ist es aber ein weltpolitisch höchst einflussreicher, selbstbewusster Staat, der seine Rohstoffvorkommen und seine schiere Größe machtpolitisch geschickt einzusetzen weiß. In der internationalen Politik verhält sich Russland dabei aber durchaus rational und berechenbar. Und nicht jede Position, die vom Kreml vertreten wird, verdient es, mit antirussischem Reflex sofort für »finster« gehalten zu werden. Russland hat so manches Mal auch erleben müssen, dass seine Interessen vom Westen ignoriert werden. Auch Russland ist ein Land, das über die Jahrhunderte immer wieder von ausländischen Mächten (zum Beispiel mongolischen Horden) überfallen wurde. Solche Erfahrungen graben sich in eine Volksseele ein. Dass es für die Russen schmerzlich war zu sehen, wie sich der Einfluss des Westens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis an seine direkten Grenzen ausbreitete, sollte man nicht unterschätzen.
Zuletzt war im Zusammenhang mit dem Syrien-Krieg in deutschen Medien immer wieder zu hören, es liege an den Russen, dass man den Aufständischen nicht helfen könne. Das klang ein bisschen so, als gäbe es eine Allianz der Guten, die in ihren besten mitmenschlichen Absichten leider durch den bösen Kreml gehindert wird. So einfach ist es aber nicht. Die Warnung Russlands, dass ein Sturz des Assad-Regimes in Syrien die Lage der Menschen dort nicht automatisch besser macht und den Krieg auch nicht automatisch beendet, ist nicht so falsch. Natürlich sagen die Russen das aus ihrer eigenen Interessenlage heraus. Aber eine eigene Interessenlage hat der Westen auch.
Wohin treibt Amerika?
Das
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