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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Baseballschlägern trommelte man auf ihr Auto, wobei schwer zu erkennen war, wer diesen Mob gegen sie organisiert hatte. Die örtliche Polizei, zu der sie sich schließlich flüchtete, hielt sie dann »zur Sicherheit« auch gleich noch mal einige Stunden fest. Der Bundesaußenminister hat danach Protest eingelegt gegen die Behandlung deutscher Korrespondenten. Für die Führung in Peking sind solche Geschichten eigentlich blamabel. Zugleich wirken sie als nützliche Abschreckung und Verunsicherung. Das Gefühl, unter unberechenbaren Umständen zu arbeiten, hat bei den ausländischen Journalisten in China zugenommen.
    Gucci und Prada statt Mao-Kittel
    Die Regierung in Peking weiß andererseits aber durchaus, welche Missstände in den Provinzen herrschen und dass die Korruption ein gewaltiges Problem ist, das die wirtschaftliche Entwicklung hemmt und die politische Stabilität gefährdet. Die Führungsleute der Kommunistischen Partei Chinas sind alles andere als dumm. Aber sie sind nicht so allmächtig, wie es nach außen oft erscheint. China ist ein Riesenreich, mit vielen sozialen Spannungen und ethnischen Gruppen. Es ist durchaus nicht so, als habe Peking dies alles im Griff.
    Das erklärt auch, wieso Todesurteile gegen korrupte Provinzgouverneure verhängt werden – ein verzweifelter Versuch Pekings, ein Exempel zu statuieren und die Provinzen zu disziplinieren. Von der Vorstellung, den Problemen des Landes mit mehr politischer Freiheit, gar Parteienvielfalt und Pressefreiheit zu begegnen, ist man in Peking allerdings weit entfernt. Hier herrscht ein diktatorisches System. Es steht zwar Demokratie drauf, aber es ist keine Demokratie drin. Während der Olympischen Spiele 2008 wurden in Peking zwei alte Damen (79 und 77 Jahre) festgenommen und zu Arbeitslager verurteilt, weil sie eine »illegale Protestaktion« planten: Sie wollten in einem Park ein Plakat hochhalten, um sich über ihre Enteignung zu beschweren.
    Zugleich ist China aber kein wirklich kommunistisches Land mehr, denn es gibt wirtschaftliche Freiheiten. Man darf kapitalistisch wirtschaften und Privateigentum besitzen. Unternehmertum, Reichtum und Erfolg sind erlaubt, was früher undenkbar gewesen wäre. Die Partei mischt zwar im Wirtschaftsleben überall mit, und wer politisch opponiert, wird niemals wirtschaftlich erfolgreich sein dürfen, aber sie lässt Marktwirtschaft zu. Die in vieler Hinsicht sogar viel freier und kapitalistischer ist als bei uns. Wer das Millionenheer der chinesischen Wanderarbeiter brutal ausbeuten will, kann das im kommunistischen China ziemlich ungestört tun. Es herrschen Zustände wie bei uns in der Frühzeit der Industrialisierung. Jeder Kommunist müsste darüber eigentlich verzweifeln. Der frühere chinesische Führer Deng Xiaoping, der die marktwirtschaftlichen Reformen einführte, hat dazu jedoch gesagt: »Lasst einige zuerst reich werden.« Wie lange die übrigen Chinesen diese extremen Unterschiede akzeptieren, wird man sehen.
    Kritische Chinesen hoffen, dass mit dem Erstarken einer bürgerlichen Mittelschicht auch ein größeres politisches Selbstbewusstsein der Bürger einhergehen wird. Bislang ist das aber nur eine Hoffnung. Dissidenten wie Ai Weiwei sind eine kleine Minderheit. Der Nobelpreisträger Liu Xiaobo sitzt immer noch im Gefängnis: ein Schriftsteller, der es wagte, Kritik zu üben, ohne dabei je einen Aufstand anzuzetteln oder gewalttätig zu werden. Doch Kritik genügt, um von der Bildfläche zu verschwinden.
    Aber, und das ist die andere Seite der Medaille: Es ist China gelungen, mit seiner marktwirtschaftlichen Öffnung in den letzten zwanzig Jahren 300 Millionen Menschen aus extremster Armut zu holen. Es gibt in China keine Hungerkatastrophen mehr. Das allein ist eine enorme Leistung, die man nicht gering schätzen sollte. Und wer Peking in den siebziger oder achtziger Jahren gesehen hat und heute dorthin zurückkehrt, reibt sich die Augen: westliche Autos statt Fahrräder, Gucci- und Prada-Läden statt grauem Mao-Einheitskittel. Ein lebendiges Nachtleben mit stylishen Restaurants und Clubs. Gerade unter den jungen, besser Ausgebildeten mit guten Chancen sind viele deshalb auch sehr zufrieden mit ihrem Leben, das so offensichtlich besser ist als das ihrer Eltern. Es verwundert insofern nicht, dass sich viele junge Chinesen zurzeit mehr für Klamotten und Aktienkurse als für Wahlrecht interessieren.
    Eine blutige Revolution in diesem Riesenreich mit über 1,3 Milliarden Menschen könnte aber auch

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