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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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neutral und integer wahrgenommen wird und zweitens die Konfliktparteien an Hilfe interessiert sind. Sei es, dass sie kampfesmüde sind. Sei es, dass sie es selbst mit der Angst zu tun bekommen, angesichts der Gefahr einer weiteren Eskalation. Sei es, dass ein regionaler Konflikt entschärft werden soll, bevor er größeren Mächten Probleme bereitet. Gerade während des Ost-West-Konflikts war das häufig der Fall. Es gab viele Konflikte in Asien oder Afrika, bei denen die streitenden Länder zur Einflusssphäre der einen oder der anderen Supermacht gehörten. Und Moskau oder Washington dann Sorge hatten, dass sie als jeweilige Schutzmächte in gefährliche Stellvertreterkriege hineingezogen wurden
    Immer wieder besteht der besondere Verdienst des Generalsekretärs darin, ein gesichtswahrendes Nachgeben zu ermöglichen. 1954 zum Beispiel haben die Chinesen die Freilassung amerikanischer Spione als Geburtstagsgeschenk an den »hochgeschätzten« UNO -Generalsekretär Dag Hammarskjöld verpackt. Für den Schweden Hammarskjöld, der höchstselbst in Peking interveniert hatte, war dieses »Geburtstagsgeschenk« nicht nur ein persönlicher Durchbruch (auch er galt vorher als blasser Beamter). Es war auch ein Durchbruch für das Amt des UNO -Generalsekretärs, denn plötzlich erkannte die Weltgemeinschaft, welch politisches Potenzial dieser Akteur hat. Wie ungemein nützlich es sein kann, wenn er nicht nur »Sekretär«, sondern aktiver Diplomat ist.
    Die Grenzen des Amtes
    In der Folge begann Hammarskjöld die Grenzen seines Amtes und der UNO als Ganzes auszudehnen. Der Schwede war nicht nur ein charismatischer Intellektueller (der nebenbei Gedichte schrieb), sondern auch ein äußerst ehrgeiziger Visionär. So ehrgeizig und hoffnungsvoll, dass er 1960 im Kongo den ersten Blauhelm-Einsatz der Vereinten Nationen initiierte, der heute wohl unter den neuen Begriff »humanitäre Intervention« fallen würde. Erstmals griff die UNO dort in einen Bürgerkrieg ein. Und scheiterte kläglich. Dag Hammarskjöld selbst kostete der Einsatz sogar das Leben. Dass es bei seinem mysteriösen Flugzeugsabsturz über dem Kongo mit rechten Dingen zuging, wird bis heute bezweifelt.
    Immer noch aktuell sind die Protokolle von Hammarskjölds flehentlichen, ja verzweifelten Klagen über unklare Mandate, mangelnde Unterstützung und widerstreitende Interessen der Großmächte. In diesem Spannungsraum werden sich auch künftige Generalsekretäre bewegen, und sie werden es immer häufiger mit innerstaatlichen Konflikten zu tun bekommen, mit denen sich die UNO in der Vergangenheit durchweg schwertat.
    Ein wichtiger Aspekt kommt dabei hinzu, der im vergangenen Jahrhundert kaum eine Rolle spielte: die massive Bedrohung des Weltfriedens durch nichtstaatliche Akteure wie das Terrornetzwerk al-Qaida. Bisher hat die Weltgemeinschaft keine Mittel und Wege gefunden, darauf zu reagieren. Mit wem soll sie in Kontakt treten? Wen soll sie sanktionieren? Al-Qaida gehört nicht zu einem bestimmten Land. Osama Bin Laden hatte keinen Botschafter bei der UNO akkreditiert, den man empört einbestellen und mit einem Handelsembargo bedrohen konnte. Man kann natürlich darüber streiten, ob ein Osama Bin Laden überhaupt jemals ein Gesprächspartner hätte sein können. Doch sollten wir irgendwann an einen Punkt kommen, an dem der Albtraum einer Erpressung durch Nuklear-Terrorismus real zu werden droht – dann wird man womöglich einen »supranationalen« Akteur brauchen, der in der Lage ist, mit solchen »transnationalen« Gruppen zu kommunizieren. Ein gewählter Regierungschef eines einzelnen Staates kann das nicht sein. Ein UNO -Generalsekretär, der die Weltgemeinschaft personifiziert, könnte es zumindest sein.

Weltpolitik mit Waffen
    In der alten indischen Sprache Sanskrit bedeutet Krieg »Wunsch nach mehr Kühen«. Eine hübsche Umschreibung für eines der Hauptmotive kriegerischer Angriffe. »Wollt ihr den totalen Krieg?«, schrie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1943 im Berliner Sportpalast, und die Massen jubelten ihm zu. Das wäre heutzutage natürlich völlig undenkbar. Kriege gibt es aber nach wie vor. Sie werden allerdings anders kommuniziert. In Deutschland tut man sich mit dem Begriff »Krieg« besonders schwer. Es hat lange gedauert, bis deutsche Politiker das Wort Afghanistan- Krieg in den Mund nahmen. Aber auch in den meisten anderen Ländern wird lieber von »militärischen Einsätzen« gesprochen. Selbst Diktatoren werden lieber in Kriege

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