Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Powell, damals Außenminister der USA , saß deshalb am 5. Februar 2003 im Sicherheitsrat wie ein Staubsaugervertreter und versuchte, die Kriegspläne seines Landes anzupreisen und die anderen Staaten davon zu überzeugen. Er projizierte Bilder mit einem altmodischen Overhead-Projektor auf eine Leinwand, auf der man angebliche geheime Waffenlager des Iraks sah, und zitierte aus angeblichen Abhörprotokollen der Geheimdienste. Mir ist das sehr eindrücklich in Erinnerung, weil ich damals selbst auf der Pressetribüne saß und die ganze Vorstellung mit Kollegen aus aller Welt atemlos verfolgte. Am meisten beeindruckt hat mich damals, wie »klein« das alles wirkte. Fast ein bisschen wie im Besprechungsraum eines mittelständischen Unternehmens. Man sitzt am Konferenztisch, einer hantiert mit einer sehr mittelmäßigen Powerpoint-Präsentation, malt mit Leuchtstift ein paar Kreuzchen, und die anderen rollen mit den Augen.
Von der Pressetribüne aus konnte man auch gut beobachten, wie unwohl Colin Powell sich dabei fühlte, wie verkrampft er war. Und man konnte ebenfalls sehen, wie unwohl sich die anderen Außenminister fühlten. Der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer hatte seine Stirn noch mehr in Falten gelegt als sonst. Der Franzose Dominique de Villepin klackerte ständig mit seinem Kugelschreiber und schüttelte immer wieder den Kopf. Eine Woche später, bei der nächsten Sicherheitsratssitzung, hielt der französische Außenminister dann eine flammende und in ihrer leidenschaftlichen Dramatik sehr französische Rede gegen diesen Krieg, die von der Beobachtertribüne mit lautem Applaus bedacht wurde, was im Sicherheitsrat sonst absolut unüblich ist. Jahre später stellte sich heraus, dass die »Beweise« von Colin Powell tatsächlich keine waren, sondern bloß falsche Behauptungen. Powell selbst sprach im Nachhinein davon, dass diese Stunde im Sicherheitsrat der »Schandfleck« seiner Karriere gewesen sei. Ein Auftritt, den er gern ungeschehen machen würde. Die internationalen Beziehungen sind damals auf einen Tiefpunkt gesunken: Auf der einen Seite standen die USA und Großbritannien, auf der anderen Seite Russland, China und große Teile Westeuropas, allen voran Deutschland und Frankreich. Viele Osteuropäer wiederum stellten sich an die Seite Amerikas, aus Abneigung gegenüber Russland und in der Hoffnung, dass das mächtige Amerika ihnen die willfährige Zustimmung danken würde. All das hat der Welt nicht gutgetan. Es hat dem Ansehen der USA geschadet und die Europäer auseinanderdividiert.
Die Schuld der UNO war das aber nicht. Immerhin bot sie einen Raum, in dem man noch miteinander redete und diskutierte und versuchte, sein Handeln zu rechtfertigen. Dabei kann die UNO aber nie besser sein als die Summe ihrer Teile. Sie erhebt zwar zu Recht diesen Anspruch, als ständige Aufforderung an die Weltgemeinschaft, sich zu bessern. Am Ende des Tages ist sie jedoch nur ein Spiegelbild eben dieser Welt, mit allem Guten und allem Schlechten, was unser nationalstaatlich strukturierter Globus zu bieten hat.
Ärger mit Washington und Moskau
»… und Kofi will das auch!« – für einen deutschen Bundeskanzler war dies jahrelang das beste Argument, um zögernde Bundestagsabgeordnete davon zu überzeugen, deutsche Soldaten in Friedenseinsätze zu schicken. Kofi Annan war von 1997 bis 2006 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Der Diplomat aus Ghana war sehr populär und ein viel bekannteres Gesicht als sein Nachfolger, der aktuell amtierende Südkoreaner Ban Ki Moon. Aber auch Ban Ki Moon genießt Ansehen, schließlich repräsentiert er die Vereinten Nationen und damit »eine gute Sache«.
Wir Deutsche haben ein besonderes Verhältnis zu übergeordneten, moralischen Instanzen, bei denen wir Neutralität und höhere Weisheit vermuten. Das gilt fürs Bundesverfassungsgericht genauso wie für den UNO -Generalsekretär, vor allem wenn der ein so freundlicher Mensch ist wie Kofi Annan, der sich in Deutschland fast den Status eines säkularen Beinah-Papstes erworben hatte. Uns Deutsche stört es auch nicht so sehr, dass das Macht- und Kraftzentrum der Vereinten Nationen der Sicherheitsrat ist und dort Entscheidungen an einem Tisch getroffen werden, an dem deutsche Regierungen keinen festen Platz haben. Das Bemühen der Bundesregierung um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat stößt in der deutschen Öffentlichkeit jedenfalls auf mäßiges Interesse. Dass der Sicherheitsrat ein Direktorium der
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