Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
werden heute (noch) so viele Kriege geführt?
Die weltweit häufigsten Kriege sind Bürgerkriege, bei denen sich verschiedene Volksgruppen bekämpfen. Sie sind meist besonders blutig und schrecklich, weil jeder gegen jeden kämpft, und das an jeder Hausecke. Außerdem kommt oft ethnischer, rassistischer oder religiöser Hass hinzu, der heftiger sein kann als der Hass, den »reguläre« Soldaten empfinden, wenn sie gegen Soldaten anderer Länder kämpfen (müssen).
Im afrikanischen Ruanda zum Beispiel wurden 1994 beim innerstaatlichen Krieg, den die Hutus gegen die Tutsis führten, innerhalb weniger Wochen eine Million Menschen niedergemetzelt. Da die Opfer hauptsächlich Tutsis waren, spricht man bei einer so großen Opferzahl auch von »Völkermord«, weil ein ganzes Volk beziehungsweise eine Volksgruppe beinah ausgelöscht wurde. Bei Bürgerkriegen spielen Rassismus oder religiöser Hass zwar eine große Rolle, doch oft liegen die eigentlichen Kriegsursachen oder -motive woanders. Wenn es einem Land zum Beispiel wirtschaftlich schlecht geht, wird gern nach Schuldigen gesucht. Die findet man dann in einer ethnischen Minderheit, und so waren plötzlich die Tutsis schuld an der Armut Ruandas. Oder es geht um die Frage, wer in dem Land das Sagen hat. Tutsis und Hutus unterscheiden sich ethnisch kaum voneinander, viele Ruander sind gar nicht zuzuordnen, sie haben auch keine unterschiedliche Religion oder unterschiedliche Stammesgebiete. Sie lebten vorher völlig friedlich nicht nur nebeneinander, sondern miteinander. Während der Massaker brachten sich aber auch Hutus gegenseitig um, es haben sogar Söhne ihre Väter erschlagen. Ein Grund dafür ist, dass es in Ruanda eine gewaltige Überbevölkerung gab: zu viele Menschen auf zu wenig Land. Der Bürgerkrieg war also auch eine »gute Gelegenheit«, mit allen abzurechnen, die einem im Wege standen.
Bei Kriegen zwischen Staaten geht es meist um Streitigkeiten über Grenzverläufe und wem was gehört. Um Land wird vor allem dann Krieg geführt, wenn es dort Bodenschätze gibt. Schließlich will jeder gerne Ölquellen haben oder einen Zugang zum Meer, um Schifffahrt betreiben zu können. Und die wenigsten Ländergrenzen sind so uralt, dass sie von niemandem in Frage gestellt werden. Irgendwer kann eigentlich immer behaupten, er sei schon früher mal da gewesen.
Darüber streiten zum Beispiel Israelis und Palästinenser: Wem gehört das Heilige Land nun wirklich? Wessen Vorfahren waren zuerst da? Manchmal wird in solchen Streitfragen sogar mit antiken Knochenfunden argumentiert. Tatsächlich gehen aber auch die meisten scheinbar innerstaatlichen Konflikte auf Grenzziehungen zurück, die Jahrhunderte zuvor künstlich vorgenommen wurden, ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeiten und Stammesgebiete. In Afrika ist das so, wo die Kolonialherren Grenzen zogen. Und auch die vielen Konflikte im Kaukasus hängen mit der Sowjetisierung zusammen, als von Moskau aus Regionen willkürlich aufgeteilt und ganze Völkergruppen deportiert wurden.
Die häufigsten zivilen Streitigkeiten, die in Deutschland vor Gericht kommen, sind übrigens Nachbarschaftsstreitigkeiten. Wenn man sich schon innerhalb eines Landes derart verbissen über Maschendrahtzäune streitet, versteht man, wie schnell ein Streit zwischen Ländern ausbrechen kann. Und wer jemals eine blutige Schulhof-Prügelei beobachtet hat, weiß auch, wie schnell sich Menschen plötzlich aufführen wie Tiere. Oder noch schlimmer. Tiere fressen sich gegenseitig, aber in der Regel foltern sie nicht.
Die meisten Kriege bemerken wir allerdings gar nicht. Es sind Bürgerkriege oder Streitigkeiten zwischen zwei Kleinstaaten. Bis zu fünfzig derartige Kriege werden momentan weltweit geführt. Manchmal werden sie von Regierungen nur angezettelt, um die hungrige Bevölkerung davon abzulenken, wie schlecht sie regiert wird. Diese Kriege finden meist in Gegenden statt, die weit weg von Deutschland sind, viele in Afrika. Insofern stellen sie keine direkte militärische Gefahr für uns dar. Dass dort Krieg ist, merken wir erst, wenn viele Flüchtlinge vor unserer Haustür stehen, die mit allen Mitteln versuchen, aus ihrer Heimat zu entkommen, notfalls in einer Nussschale über das Mittelmeer. Sie haben nichts mehr zu verlieren – denn sie haben schon alles verloren. Es kommen aber nicht nur Hungrige, es kommen auch Hasserfüllte, die auf die Ungerechtigkeiten in ihren Heimatländern aufmerksam machen wollen. Den Bombenanschlag auf den
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