Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Erwartungen. Die Enttäuschung folgte auf den Fuß. In den Jahren danach wurde klar: Die UNO kann keine echte Weltpolizei sein, die überall Frieden schafft.
Hilflos bei Massakern
Eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Organisation war ihre Untätigkeit beim Völkermord in Ruanda 1994. Warum hatte die UNO tatenlos zugesehen? Vor allem deshalb, weil erst kurz zuvor die nackten Leichen amerikanischer Soldaten durch die Straßen Mogadischus gezerrt worden waren. Der Somalia-Einsatz, den der UN -Generalsekretär Boutros-Ghali entschieden vorangetrieben hatte, wurde daraufhin abgebrochen. Und kein amerikanischer Präsident hätte wenige Monate später Soldaten nach Ruanda geschickt. Ohne die Amerikaner ging aber nichts Mitte der neunziger Jahre. Das beginnt sich heute allerdings zu ändern. Das internationale System ist viel »multipolarer« als noch vor zehn Jahren. Es gibt nicht mehr nur zwei Blöcke, wie im Kalten Krieg, und die USA sind nicht mehr jene alles beherrschende Supermacht wie noch vor zehn Jahren.
Das Phänomen wechselnder Allianzen ließ sich im zweiten Krieg gegen den Irak 2003 gut beobachten, als Deutschland und Frankreich sich den USA verweigerten. »Für ein Abenteuer stehen wir nicht zur Verfügung«, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder damals gesagt. Auch mehren sich Konflikte, in denen einzelne Staaten militärisch eingreifen, wie zum Beispiel Frankreich 2013 im afrikanischen Mali, ohne dass die USA mit im Boot waren.
Dem UNO -Generalsekretär kann diese internationale Entwicklung insgesamt größere Spielräume eröffnen, zugleich macht es die Bedingungen seines Amtes komplexer und unberechenbarer. Eines wird sich hingegen nicht ändern: Immer wieder wird der UNO -Generalsekretär als Sündenbock herhalten müssen. Das ist fester Teil seiner »Job-Description«! Das war so in Somalia, in Ruanda oder beim Massaker von Srebrenica. »Die UNO hat die bosnischen Muslime nicht beschützt« – so heißt es. Es stimmt zwar, dass damals auch die UN -Friedenstruppen vor Ort furchtbar versagt haben, als sie einfach zusahen, wie die Serben bosnische Muslime abführten und massakrierten. Trotzdem: Die UNO ist bei Krieg und Frieden keine eigenständige Organisation. Alles steht und fällt mit dem Sicherheitsrat und damit mit den Großmächten. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats konnten sich damals nicht darauf einigen, massiv militärisch gegen die Serben vorzugehen. Insbesondere Frankreich und Russland zögerten. Ein UNO -Generalsekretär hat aber nun mal keine eigenen Truppen, die er einfach so in Gang setzen kann.
Gute Dienste als der unsichtbare Dritte
Ein »unmöglicher Job« also – und doch ein Job voller Möglichkeiten, insbesondere im Bereich der stillen Diplomatie. Für die bekommt man allerdings keinen lauten Applaus und manchmal noch nicht mal einen Eintrag in die Geschichtsbücher. In Geschichtsbüchern findet sich jedenfalls fast nichts über die Rolle, die der birmesische UNO -Generalsekretär U Thant in der Kuba-Krise 1962 spielte, als die Welt so nah am atomaren Abgrund stand wie nie zuvor oder danach. Der »blasse« U Thant, an den sich heute kaum jemand erinnert, trug hinter den Kulissen damals sehr viel dazu bei, dass Washington und Moskau überhaupt ins Gespräch kamen. Die Situation war dramatisch, beide Seiten wollten sie entschärfen; doch wer hätte zuerst zum Telefonhörer greifen können, ohne das Gesicht zu verlieren? In solchen Situationen ist ein neutraler Dritter von unschätzbarem Wert.
In der Diplomatensprache nennt man das »Third Party Methods«. Das können einfach nur hilfreiche Dienste (»good offices«) sein, etwa eine Mitteilung zu überbringen, wenn zwei Länder nicht direkt miteinander reden können. Die höchste Stufe diplomatischen Engagements ist die Vermittlung (»mediation«). Dann schlägt der Generalsekretär sogar von ihm selbst verfasste Friedensabkommen vor. Je intensiver der Generalsekretär eingreift, desto höher ist allerdings sein eigenes persönliches Risiko. Und sei es das Risiko, selbst das Gesicht zu verlieren.
Am erfolgreichsten war er über die Jahrzehnte hinweg insofern immer wieder mit den einfachen »guten Diensten«: Dialoge in Gang setzen, diskret Kontakte herstellen, inoffizielle Botschaften überreichen, als Gastgeber zur Verfügung stehen. Der Generalsekretär kann aber auch darüber hinausgehen, er kann Ratschläge geben und eigene Kompromissvorschläge ausarbeiten. All das setzt voraus, dass er erstens als
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