Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
verwüstet, Deutschland besonders. Erstmals setzte sich danach die Erkenntnis durch, dass ein solcher »totaler« Krieg mit modernen Kriegswaffen bis hin zu den Atombomben, die die Amerikaner auf Deutschlands Verbündeten Japan warfen, eine solch totale Zerstörung mit sich führt, dass man keinen dritten Weltkrieg mehr riskieren darf. Der angerichtete Schaden übersteigt jeden denkbaren »Nutzen« (zum Beispiel einen Zugewinn an Land), den ein solcher Krieg der Großmächte bringen könnte.
Der Kalte Krieg und seine Stellvertreter
Der Weltkonflikt, der nach 1945 entstand, eskalierte auch aufgrund dieser Kosten-Nutzen-Rechnung nicht zum Krieg, sondern wurde bis etwa 1990 nur als »Kalter Krieg« zwischen »Westen« und »Osten« geführt. Es gab allerdings »Stellvertreterkriege«. Denn in den Zeiten des Ost-West-Konflikts waren ja fast alle Länder irgendwohin zugeordnet. Die einen sympathisierten mit den USA , die anderen standen der Sowjetunion näher. Die ganze Welt war in Einflusssphären unterteilt. Und wenn außerhalb Europas zwei Länder oder Bevölkerungsgruppen gegeneinander kämpften, hatten immer die Sowjets und die Amerikaner ihre Finger im Spiel. Beispiel Afghanistan: Dort war 1979 die Sowjetunion einmarschiert, um der damals kommunistischen afghanischen Regierung gegen Aufständische zu helfen. Prompt wurden diese Aufständischen, die Mudschaheddin, von den Amerikanern mit Waffen ausgerüstet. Die Amerikaner kämpften also nicht selbst, sondern halfen den Gegnern der Sowjetunion. Getreu dem Motto: »Der Feind meines Feindes ist mein Freund.« Noch prägnanter ist der Spruch: »Er ist zwar ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn« (der Satz wird dem früheren US -Präsidenten Roosevelt zugeschrieben, der damit den Diktator Nicaraguas meinte). In Afghanistan waren die Taliban »unsere Hurensöhne«, und so kommt es, dass die Taliban heute mit alten amerikanischen Waffen gegen amerikanische Soldaten kämpfen.
In der Zeit des Ost-West-Konflikts fiel zwar kein Schuss zwischen amerikanischen und russischen Soldaten, aber es wurde gewaltig aufgerüstet – jeder baute immer neue Atomraketen und entwickelte vor allem ein System, das sicherstellte, dass man nach einem »Erstschlag« noch einen »Zweitschlag« würde verüben können. Heißt also: Selbst wenn eine Atombombe von der gegnerischen Seite schon im Anflug ist, kann man selbst noch zurückschlagen. Wenn du mich vernichten willst, wirst du selbst vernichtet. Für die Europäer war das beängstigend, schließlich wären vor allem sie zum Schauplatz atomarer Angriffe geworden. In diesem Zusammenhang ist häufig von »taktischen« und »strategischen« Atomwaffen die Rede. Heutzutage mag man sich damit weniger beschäftigen, in den achtziger und neunziger Jahren waren das aber sehr geläufige Begriffe. Vereinfacht gesagt, handelt es sich bei den »taktischen« Waffen um nukleare Sprengkörper, die (angeblich) gezielt eingesetzt werden können und nur eine begrenzte Wirkung haben, ähnlich also wie konventionelle (nicht-nukleare) Waffen. Man beschießt ein bestimmtes Ziel, zum Beispiel ein Gebäude, eine Gefechtsstellung und Ähnliches. »Strategische Waffen« hingegen machen, grob gesagt, alles platt. Ganze Landstriche werden damit nuklear verseucht. Sie lassen sich deshalb nicht »taktisch« einsetzen, sondern dienen ausschließlich der Strategie der Abschreckung: Sie sind in ihrer Wirkung so furchtbar, dass sie gar nicht erst zum Einsatz kommen sollten. Letztlich sind das aber ziemlich theoretische Unterschiede. Ob sich Atomwaffen tatsächlich »taktisch« einsetzen lassen, ist noch nie ausprobiert worden. Und man möchte es auch lieber nicht auf einen Versuch ankommen lassen. Die Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im Zweiten Weltkrieg waren jedenfalls nicht taktisch, sondern einfach nur grauenhaft.
Am Ende hat dieses Gleichgewicht des Schreckens zwar alle in Schach gehalten. Ein erstrebenswertes Friedensmodell kann das allerdings nicht sein. Es gab immer die Gefahr eines Fehlalarms, bei dem einer versehentlich »auf den roten Knopf« drückt, weil er fälschlicherweise einen Angriff vermutet. Solche Situationen, in denen die Welt tatsächlich am Rande des Abgrunds stand, hat es gegeben. Dass kein Dritter Weltkrieg ausbrach, haben wir unter anderem einem russischen Kommandeur zu verdanken, der einen solchen Fehlalarm erlebte und eigentlich Raketen hätte abschießen müssen. Aber der Mann hatte das »Bauchgefühl«, dass
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