Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Russland fürchtete und Moskau scharf kritisierte. Für Europa wiederum ist die Gegend wichtig, weil dort Ölleitungen verlaufen, über die wir beliefert werden. So schnell kann’s gehen mit den Kriegsausbrüchen.
Gefährlich sind diese Situationen vor allem deshalb, weil Kriege sich immer leicht über den ursprünglichen Konfliktherd hinaus ausbreiten. Soldaten zerstören ein bis dahin unbeteiligtes Dorf, die Verwandten der Getöteten schlagen sich auf die Seite des Widerstands und verstecken sich in Grenzregionen, der Krieg rückt an die Nachbarländer heran. Ein Land gibt Finanzhilfe, um zum Beispiel Rohstofflieferungen nicht zu gefährden, ein anderes zahlt daraufhin Unterstützung an die Gegenseite, um genau diese Rohstofflieferungen zu stören … Unterschiedliche Interessen mischen mit, die Kämpfe weiten sich aus, immer mehr Gruppen kämpfen mit, und irgendwann brennt eine ganze Region. Wenn dann auch noch andere große Länder direkt hineingezogen werden, wird es richtig brenzlig. Man spricht in einem solchen Fall von der »Internationalisierung« eines Konflikts. Sehr deutlich spüren Nachbarländer das dann auch durch die Flüchtlingsströme, die bei ihnen landen. Spätestens wenn in den Grenzgebieten plötzlich zigtausende »Ausländer« unter erbärmlichen Bedingungen in Zeltstädten hausen, ist der Konflikt im Nachbarland angekommen. Es dauert dann nicht mehr lange, bis sich einzelne Konfliktparteien dort Rückzugsräume schaffen (es kommen eben nicht nur flüchtige Frauen und Kinder) und die ersten Raketen aus dem benachbarten Kriegsland einschlagen. Neutral verhalten sich angrenzende Länder in solchen Konflikten eh selten. Die Türkei erlebt das alles gerade exemplarisch beim Bürgerkrieg im benachbarten Syrien.
Der Dauerkonflikt im Nahen Osten
Ein »ewiger« und immer wieder neu aufflackernder Krisenherd ist der Streit um das Heilige Land. Der Nahe Osten ist eine Region am Mittelmeer, die Israel und die sogenannten Palästinensergebiete sowie die angrenzenden arabischen Länder Ägypten, Libanon, Jordanien und Syrien umfasst. Mit dem Begriff »Palästinensergebiete« sind zwei Gebiete gemeint: erstens der schmale »Gaza-Streifen«, sandig, staubig und nur 14 Kilometer breit, aber mit direktem Zugang zum Meer und deshalb strategisch bedeutsam. Zweitens das »Westjordanland«, in dem aber nicht nur Palästinenser leben, sondern auch jüdische Siedlungen liegen. Es gibt also nicht nur zwei voneinander räumlich getrennte (und unterschiedlich regierte) Palästinensergebiete. Darüber hinaus ist eines dieser Gebiete, das Westjordanland, auch noch in sich zerstückelt. Zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland liegt der jüdische Staat Israel. Israel ist in der Fläche nur ungefähr so groß wie Hessen und hat 7 Millionen Einwohner. Weil es von feindlichen arabischen Nachbarn umzingelt ist, hat sich Israel seit seiner Staatsgründung 1948 aber so massiv bewaffnet, einschließlich Atombombe (auch wenn das offiziell nie bestätigt wurde), dass es als starke Militärmacht gilt, obwohl es so ein kleines Land ist.
Man spricht vom Nahen Osten, weil diese Region zwar größtenteils zum asiatischen Kontinent gehört, aber im Gegensatz zum Fernen Osten (China, Japan usw.) ganz nah an Europa liegt. Im Angelsächsischen spricht man übrigens nicht vom Nahen Osten, sondern vom Mittleren Osten (Middle East), gemeint ist aber dasselbe. Von Europa aus sind es nur vier Stunden im Flieger, schon ist man da. Der Nahostkonflikt spielt sich also tatsächlich ziemlich nah vor unserer Haustür ab. Auch das ist ein Grund, warum uns dieses Thema nicht egal sein kann. Aber es gibt noch viele andere Gründe.
In Nachrichtensendungen fällt es uns allerdings immer schwerer, die Zuschauer dafür noch zu interessieren. Das Publikum ist kriegsmüde geworden und wendet sich entnervt ab. Das liegt weniger an Kaltherzigkeit, sondern eher an dem Gefühl, dass dieser Konflikt sowieso ewig weitergeht, man eh nichts tun kann und die Beteiligten selbst auch kein rechtes Interesse daran haben, ihn jemals zu beenden. Außerdem scheint es in Deutschland einen wachsenden Widerwillen zu geben, eine besondere Solidarität mit Israel und eine besondere Verantwortung für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu empfinden. Kritik an Israel ist sogar ein bisschen »schick« geworden, so wie es ja immer »schick« ist, sogenannte Tabus zu brechen.
Israel-Kritik ist kein Tabu
Dazu ist allerdings zu sagen: Es ist keineswegs verboten,
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