Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Osama Bin Laden so offenkundig die Gastfreundschaft der Taliban genoss und klar wurde, dass in Afghanistan regelrechte Terrorcamps existierten, in denen Krieger gegen den Westen ausgebildet wurden, griff die Staatengemeinschaft ein. Und obwohl keine humanitären Gründe ausschlaggebend waren, sondern solche, die in unserem eigenen Sicherheitsinteresse liegen (»Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt«, sagte der frühere Verteidigungsminister Peter Struck), reicht das nicht aus, um auf Dauer gegenüber der deutschen oder amerikanischen Wahlbevölkerung zu begründen, warum die eigenen Soldaten am Hindukusch sterben. Der Westen zieht sich nun zurück – wie viel man in den letzten zehn Jahren dort erreicht hat, wird sich erst danach zeigen. Die Prognosen schwanken zwischen Optimismus (»Afghanistan hat sich verändert«) und Katastrophenszenarien (»alle Anstrengungen waren umsonst«). Wenn aber schon in einem solchen Krieg, bei dem immerhin noch starke Eigeninteressen vertreten werden, die Bereitschaft, ihn dauerhaft zu führen, nach einigen Jahren verloren geht, wird man bei »humanitären Interventionen« erst recht keine dauerhafte Einsatzbereitschaft erwarten können. Solche innerstaatlichen Kriege sind aber meistens langwierig, sie sind blutig, und wer eingreift, tötet nicht nur die Bösen, sondern fast zwangsläufig auch Zivilisten, bis hin zu Kindern. In Afghanistan haben deutsche Bomben Frauen und Kinder getötet, und das Entsetzen in Deutschland war groß. Vor allem aber gilt für humanitäre Interventionen wie für jeden anderen Krieg: Wer reingeht, muss auch wissen, wie er wieder herauskommt. Einmal drin, kann sich das über Jahre und Jahrzehnte hinziehen. Geht man vorzeitig raus, hat man »verloren« und international an Machtansehen eingebüßt. Bleibt man zu lange drin, wird man zermürbt, und die »Heimatfront« verliert die Geduld. Das ist kein Plädoyer gegen humanitäre Interventionen. Nur sollte man sich bewusst sein, dass das Gutgemeinte sehr schwer umsetzbar ist, sobald es um Krieg und Frieden geht.
Der Anti-Terror-Krieg: Früher waren Terroristen noch keine Touristen
Lange agierten Terroristen meist vor Ort. Die deutsche Rote Armee Fraktion ( RAF ) etwa führte ihre Anschläge nur hierzulande durch. Zwar stand die Entführung eines Lufthansa-Flugzeugs nach Mogadischu (im afrikanischen Staat Somalia) in engem Zusammenhang mit dem »Deutschen Herbst« 1977: Arabische Terroristen forderten die Freilassung gefangen genommener deutscher RAF -Kollegen. Aber im Großen und Ganzen waren Terroristen keine Touristen. Ihre Terrorakte blieben örtlich begrenzt. Man konnte damals also noch sagen: Was geht es mich an, was am anderen Ende der Welt passiert? Und viele haben das auch so gehalten
Diese Situation hat sich längst geändert. Terroristen agieren weltweit. Und man kann nicht nur in anderen Ländern von ihnen getroffen werden, sondern auch in der Heimat. Dieser neue »transnationale« (grenzübergreifende) Terrorismus ist damit zu einem der drängendsten Probleme der Weltpolitik geworden.
Das Wort »Terror« kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Angst, Schrecken. Angst und Schrecken zu verbreiten, ist die Kriegsstrategie von Terroristen. Dazu braucht man keine großen Truppen. Eine Handvoll Männer reichte, um die Supermacht USA im September 2001 in Schockstarre zu versetzen. Der Krieg, den die Terroristen führen, ist ein »asymmetrischer Krieg«, weil die Parteien eigentlich ganz unterschiedlich stark sind. Auch frühere Guerilla- und Partisanenkriege etwa gegen Kolonialmächte waren asymmetrisch (Partisan kommt aus dem Italienischen, Guerilla aus dem Spanischen, beides meint aber das Gleiche: Kämpfer, die nicht Teil einer offiziellen Armee sind und aus dem Untergrund heraus kämpfen). Das Gleiche gilt für Kämpfe bei ausländischen Interventionen in Bürgerkriege – siehe Somalia. Auch in Afghanistan führen die Taliban einen asymmetrischen Kampf gegen die westlichen Truppen. Die kleine Partei macht die große mit Angriffen aus dem Hinterhalt und einzelnen brutalen Anschlägen psychologisch fertig. Terroristen wie Guerillas verstecken sich inmitten der Bevölkerung. Die große Kriegspartei mit ihren normalen Soldaten ist leicht erkennbar, ihren Gegner hingegen kann sie nicht so leicht ausmachen; sie weiß oft nicht, wer Feind oder Freund ist. Die USA sind viel größer, haben mehr Soldaten und Bevölkerung, Geld und Bomben, als Osama bin Ladens »Truppe« jemals
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