Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
karibischen Gefangenenlager Guantanamo verübt haben, trug dazu erheblich bei. Solche Vorgänge spielten der Propaganda der Terroristen in die Hände. Dass es den Terroristen gelungen ist, einen Rechtsstaat wie die USA so auf ihr eigenes menschenverachtendes Niveau herunterzuziehen, gehört mit zu den bittersten »Etappensiegen«, die al-Qaida davongetragen hat. Aber die Terrorgruppe als solche entstand ja schon vorher.
    Osama Bin Laden selbst stammte aus einer wohlhabenden saudi-arabischen Familie, sein Vermögen wurde auf 300 Millionen Dollar geschätzt. Mit diesem Geld finanzierte er unter anderem die Ausbildung neuer Terroristen und die Vorbereitung von Anschlägen. Angeblich hat Bin Laden an den Anschlägen vom elften September auch noch gut verdient, indem er zuvor auf fallende Aktienkurse setzte. Bin Laden war übrigens ein ziemlich typischer Terroristenführer: ein Junge aus gutem Hause. Wie schon die Terroristen der RAF . Auch seine »Krieger«, die die Attentate von 9/11 ausführten, waren keine Hungerleider, sondern stammten aus bürgerlichen Milieus und hatten im Westen studiert. Vor ihrer »Bekehrung« pflegten sie einen westlichen Lebensstil, einschließlich Frauenbekanntschaften und Alkohol. Persönliche Not macht einen also offensichtlich nicht zum Terroristen, auch wenn Terroristen immer wieder betonen, dass sie für die Armen kämpfen. Die Armen haben allerdings meist andere Sorgen, als Rote Bibeln oder den Koran zu studieren, und fühlen sich von Terrorgruppen auch durchaus nicht automatisch gut vertreten. Die Armen kommen erst später ins Spiel, wenn es darum geht, neue Mitarbeiter zu rekrutieren: »Desperados« (Verzweifelte), die mit Geld oder Heilsversprechungen oder Ehrgewinn gelockt werden.
    Was die islamistischen Terroristen allerdings aufgriffen, war ein Gefühl der Unterdrückung und Unterlegenheit in der muslimischen Welt. Unterdrückung, Erniedrigung und Ausbeutung in der Kolonialzeit, später durch die landeseigenen Diktatoren, die islamische Strömungen als Opposition brutal verfolgten (wie der vom Westen installierte Schah im Iran oder Diktator Mubarak in Ägypten) und dabei von »imperialistischen« ausländischen Mächten unterstützt wurden. Vor allem von den USA , deren weltweiter Einfluss, militärisch, wirtschaftlich und kulturell, als zunehmend feindlich empfunden wurde.
    Wie sehr es in der arabischen Welt brodelte, wurde spätestens mit dem »Arabischen Frühling« deutlich, als Massenproteste die Diktatoren in Tunesien, Ägypten und Libyen hinwegfegten so wie einst den Schah aus dem Iran. Ob die arabische Welt und der Nahe Osten damit zufriedener, wohlhabender und stabiler werden, ist fraglich. Langfristig wird das hoffentlich so kommen, wenn die Bevölkerungen dieser Länder das Gefühl haben, endlich selbstbestimmt zu sein und Chancen zu haben. Bislang haben sie das noch nicht, sondern vielfach eher den Eindruck, vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. In Ägypten mussten sich unter Mubarak die Islamisten fürchten; nach der Wahl des Muslimbruders Mursi zum Präsidenten fürchteten sich ihre Kritiker, genau jene Leute, die 2011 auf dem Tahir-Platz in Kairo für mehr Freiheit demonstriert hatten. Im Sommer 2013 kam es erneut zu Massenprotesten, diesmal gegen Mursi. Das Militär setzte ihn schließlich ab. Ein äußerst undemokratischer Vorgang, auch wenn er für den demokratisch gesinnten, nach Freiheit strebenden Teil der ägyptischen Bevölkerung eine Erleichterung ist. Die Islamisten wiederum sehen sich nun erneut in einer Opferrolle. Ägypten, das bevölkerungsreichste arabische Land, ist tief zerrissen und steht vor einer ungewissen Zukunft, wie so viele andere Staaten dieser Region.
    Minderwertigkeitskomplexe, soziale Ungerechtigkeiten, wenig Bildung geschweige denn religionsferne »Aufklärung«, wie sie Europa und die USA im 18. und 19. Jahrhundert durchliefen, trugen ihren Teil dazu bei, dass der Islam als Heilslehre an Einfluss gewinnen konnte. Undurchlässige Gesellschaftsstrukturen, in denen ein Aufstieg kaum möglich ist, und die Unterdrückung von Frauen und damit einhergehende aggressive »Männergesellschaften« boten zusätzlichen Nährboden für Gewalt. Und schlussendlich ist natürlich auch der ungelöste Nahostkonflikt, der Israel-Hass und die bittere Situation der Palästinenser ein permanenter Stachel, der Wut und Frust in alle umliegenden Länder hineinträgt. Kurzum: Für den militanten Islamismus gibt es viele Ursachen. Mit Osama Bin Laden fand

Weitere Kostenlose Bücher