Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Zielen der Terrorgruppen sympathisierten, irgendwann so geschockt und zermürbt sind von der vielen Gewalt, dass sie sich nur noch Frieden wünschen und bereit sind, politische Kompromisse einzugehen. Im Nordirlandkonflikt ließ sich das beispielsweise beobachten. Aber wie soll das im aktuellen Anti-Terror-Krieg weltweit funktionieren? Wo fängt man an, wo hört man auf? Afghanistan ist längst nur noch ein Schauplatz von vielen. Wir können dort noch viele Schulen und Brunnen bauen, um die Bevölkerung von den Taliban zu trennen – doch das interessiert die multinationalen Dschihadisten, die jetzt zum Beispiel auch in Syrien unterwegs sind, genauso wenig wie deutsche Möchtegern-Terroristen im Sauerland.
Was wollen die Dschihadisten?
Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass sich aus einzelnen Kleingruppen ein ganzes Netzwerk wie »al-Qaida« bilden konnte ( » al-Qaida « heißt im Arabischen »Basis« oder »Stützpunkt«)? Was wollen diese Leute? Ihr Ziel ist die Errichtung eines großflächigen Gottesstaates, der mindestens alle islamischen Länder umfasst, aber auch darüber hinausgehen kann, je nach historischer Betrachtung, welche Gebiete zur islamischen Welt gehören sollten. Ein solches Großkalifat würde nicht nur den ganzen Nahen Osten und die arabische Welt, sondern auch Indien, Teile Afrikas und Teile von Spanien, Portugal und Italien umschließen. Der ungläubige christliche Westen soll dafür »zurückgedrängt« und Israel vernichtet werden.
So wenig, wie jeder strenggläubige Muslim ein Islamist ist, so wenig einig sind sich aber auch die Islamisten über den »richtigen« Islam und über die Wahl der Mittel zu seiner weltweiten Verbreitung. Das macht es al-Qaida & Co per se schwierig, genügend Menschen von ihrem Tun zu überzeugen. Al-Qaida ist außerdem ein sunnitisches Netzwerk – bei den Schiiten finden sie damit schwer echte Verbündete. Mit ihren radikalen Ansichten über den »wahren« Islam mögen sie sich in größeren Teilen der muslimischen Welt vielleicht noch durchsetzen können – zumindest gibt es einen Trend zu einer strengen Auslegung des Koran. Womit aber auch sehr konservative, strenggläubige Moslems, die den »westlichen« Lebensstil ablehnen, überhaupt nicht klarkommen, sind Terror, Mord und Totschlag. Zumal bei solchen Anschlägen regelmäßig Muslime getötet werden. Das widerspricht der Lehre des Koran, erst recht (aber nicht nur), wenn Muslime getötet werden. Das ständige Blutvergießen durch Terrorgruppen, das ja hauptsächlich in mus limischen Ländern stattfindet (Irak, Pakistan, Afghanistan usw.), trennt al-Qaida schon jetzt von der Bevölkerung. Sie verbreiten Angst und Schrecken unter Muslimen, anstatt deren Befreier zu sein.
Der Terror der al-Qaida ist inzwischen kaum noch koordiniert. Darin liegt einerseits eine Stärke, weil er so unberechenbar geworden ist. Aber er ist damit zugleich auch beliebig und damit unstrategisch geworden. Und: Noch nie in der Menschheitsgeschichte ist es Terroristen gelungen, ihre Ziele am Ende tatsächlich so durchzusetzen, wie sie sich das vorgestellt haben. Man erreichte Etappenziele, aber nicht Umsturz oder Staatsgründung. Das gelingt nur innerhalb von Nationen, wenn große Bevölkerungsgruppen hinter den Zielen dieser Gruppen stehen. Das ist dann aber kein Terrorismus, sondern eine Revolution – eine völlig andere Sache.
Selbst wenn die Taliban in Afghanistan wieder das Ruder übernähmen, wäre das kein Sieg von al-Qaida, sondern ein Sieg afghanischer Gruppen. Das macht es nicht unbedingt besser – aber ist auch kein Zeichen dafür, dass demnächst ein Großkalifat entsteht. Es ist insofern sehr unwahrscheinlich, dass al-Qaida auf Dauer erfolgreich sein wird. Das tröstet allerdings nur mäßig, solange der Terror anhält und jeder von uns damit in irgendeiner Form ständig konfrontiert wird. Und sei es nur, dass man sich beim Sicherheitscheck am Flughafen halb ausziehen und die im Handgepäck versehentlich verstaute Cremetube wegschmeißen muss, weil jeder Einzelne von uns ja ein potenziell hochgefährlicher Massenmörder ist, der mit Hautcreme und Lipgloss Flugzeuge zur Explosion bringt.
Söhne aus gutem Hause
Dass aus einer einzelnen Terrorgruppe eine weltweite Bewegung geworden ist, der sich jeder isolierte Einzeltäter zugehörig fühlen kann, hat viele Gründe. Der Krieg der USA in Irak und die Menschenrechtsverletzungen, die US -Soldaten und Geheimdienste in irakischen Gefängnissen (Abu Ghraib) oder im
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