Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
haben wird. Trotzdem konnte es der kleineren Terrorpartei gelingen, die mächtige USA so empfindlich zu treffen, dass die Welt danach nicht mehr so war wie vorher.
Und diese asymmetrische Kriegführung hat sich seitdem noch potenziert: Jeder Feierabend-Dschihadist kann sich theoretisch irgendwo eine Waffe besorgen oder eine Bombenbastelanleitung im Internet herunterladen. Die Globalisierung nutzt auch dem Terror. Man kann eigentlich nur froh sein, dass zum einen die Geheimdienste offenbar dazugelernt haben und so manches Grüppchen beobachten, von dem man als ruhig schlafender Normalbürger nichts ahnt. Und dass viele selbst ernannte Dschihadisten in unseren Breitengraden offenbar doch nicht die hellsten Geister sind. Wer daran glaubt, dass man als Märtyrer im Himmelreich von 1000 Jungfrauen verwöhnt wird, ist vielleicht tendenziell nicht nur verblendet, sondern auch intellektuell etwas beschränkt. So manches Attentat ging jedenfalls schief, weil die Bomben nicht »ordnungsgemäß« gebastelt waren oder weil die Märtyrer in spe nicht merkten, dass sie sich auffällig verhielten und längst im Focus der Sicherheitsbehörden standen. Beruhigend ist das trotzdem nicht. Die Anschläge in den USA , London oder Madrid waren schlimm genug. Und in anderen Weltregionen, im Nahen Osten, in Südostasien oder im Kaukasus, fehlt es nach jahrzehntelanger kriegerischer Erfahrung auch nicht an Expertise und Mitteln, um zahlreiche schwere Anschläge zu verüben.
Angst und Schrecken im asymmetrischen Krieg
Von Guerillakämpfern in einzelnen Ländern oder von den Terroristen der RAF unterscheidet sich der heutige islamistische Terror nicht nur durch seine weltweite Tätigkeit, sondern auch dadurch, dass er nicht auf Soldaten, Politiker oder Wirtschaftskapitäne zielt, sondern auf die Zivilbevölkerung. Selbst der Tod von Muslimen wird dabei billigend in Kauf genommen. »Warum töten diese Leute unschuldige Menschen?« ist dabei die ganz falsche Frage. Abgesehen davon, dass es einigermaßen zynisch ist, Politiker oder Soldaten als Terroropfer »weniger schlimm« zu finden, entspricht genau diese Grausamkeit, ahnungslose Zivilisten aus heiterem Himmel und in großer Zahl zu töten, der Logik des Terrorismus. Sinn der Sache ist ja eben, Angst und Schrecken auf möglichst spektakuläre Weise zu verbreiten. Und damit dem Gegner auch die eigenen Ziele aufzuzwingen.
Dabei sollen längst nicht mehr einzelne Gefangene freigepresst, »Besatzer« aus einer Region vertrieben oder der eigene mafiöse Einflussbereich über Schmuggelwege, Drogenanbau und Ähnliches gesichert werden. Den islamistischen Terroristen geht es um mehr – ums große Ganze und vor allem um Aufmerksamkeit. Diesen Zielen kann sich der Gegner dann auch nicht entziehen. 9/11 hat das in großem Stil vorgeführt. Angefangen mit dem gewählten Datum (die amerikanische Datumsschreibweise entspricht ja zugleich der allgemeinen Notrufnummer für Polizei und Feuerwehr in den USA , 911), über die Uhrzeit (morgens früh amerikanischer Zeit, sodass in der ganzen Welt noch bis in die Hauptabendnachrichtensendungen hinein stundenlang berichtet werden konnte) bis hin zur symbolträchtigen Wahl der Angriffsziele, die unglaubliche TV -Bilder lieferte. Die ganze Welt schaute zu, niemand konnte sich dem entziehen. Das war der erste große Sieg der Terroristen.
In den nachfolgenden Anti-Terror-Kriegen in Irak und Afghanistan (und Pakistan) wird ebenfalls »asymmetrisch« gekämpft. Kriegsforscher sagen: Solche Kriege sind mit militärischen Mitteln allein nicht zu gewinnen. Ein permanenter Druck durch Militär und Geheimdienste zeigt zwar viel Wirkung. Man kann den Terroristen empfindliche Schläge zufügen und ihre Organisationskraft nachhaltig schwächen – die Tötung Osama Bin Ladens zum Beispiel dürfte im Lager der Dschihadisten einigen Frust ausgelöst haben. Aber solange die Idee des Terrors lebendig ist, wird es immer wieder neue Anschläge geben. Und Ideen lassen sich nur schwer aus den Köpfen bomben.
Asymmetrische Kriege lassen sich nur gewinnen, wenn es gelingt, soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse so zu verändern, dass dem Terror der Nährboden entzogen wird. Vor allem muss den Kämpfern jeder Rückhalt in der Bevölkerung abhanden kommen. Das ist leichter gesagt als getan. In regionalen Konflikten mag es ja noch gelingen, Terroristen und Bevölkerung psychologisch zu trennen, weil die normalen Leute, selbst wenn sie zunächst mit den
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