Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
sich dann jemand, der die Führungsqualität und das Geld hatte, um auf diesem Nährboden eine Terrorvereinigung zu gründen, die Größeres vorhatte als alle bereits bestehenden militanten Gruppen.
Krieg kann auch attraktiv sein
In den achtziger Jahren zog Bin Laden aus seinem Heimatland Saudi-Arabien nach Afghanistan, um dort gegen die damaligen sowjetischen Besatzer zu kämpfen. Er hatte sich schon in seiner Jugend für den radikalen Islamismus erwärmt, mit seinem frommen Eifer ging er offenbar selbst der eigenen Familie manchmal etwas auf den Nerv. Das Leben im wohlhabenden Saudi-Arabien war sinnentleert, langweilig und oft heuchlerisch. Man hatte viel Geld, aber wenig Freude. Für einen jungen Mann, der gerne nachdachte und nach Lebenssinn suchte, war das nicht sehr befriedigend. Der Krieg gegen die Sowjets war für Osama vermutlich auch eine Art Abenteuer. Eine spannende, sinnstiftende Alternative zu seinem bisherigen Dasein.
Als der Kampf gegen die sowjetischen Truppen 1988 siegreich endete, waren die islamistischen Krieger keineswegs müde. Krieg kann nämlich auch »Spaß machen«. Klingt kurios, aber Konfliktforscher halten diesen Faktor für einen durchaus ernst zu nehmenden Aspekt. Wer sonst nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll, findet in einem solchen Partisanenkrieg eine attraktive Aufgabe. Man kann sich beweisen, es gibt Adrenalin, Heldengeschichten, Abenteuer, Anerkennung und Männergemeinschaft. Man kann nebenbei auch noch alle möglichen Schandtaten rechtfertigen, andere herumkommandieren, man hat Lohn und Brot und ein Lebensziel. Der Spaß hört natürlich auf, wenn man selbst getötet wird, doch dann ist es für die Erkenntnis, im falschen Abenteuer gelandet zu sein, zu spät.
Der Erfolg suchte nach neuen Erfolgen
Die direkte Erfahrung von Krieg bewirkt außerdem Verrohung und Radikalisierung. Wohin mit all dem, wenn der Krieg vorbei ist? Auch deshalb brauchten die Kämpfer um Osama Bin Laden ein neues Ziel, einen neuen Gegner, nachdem sie die Sowjets »geschlagen« hatten. Der Erfolg suchte nach neuen Erfolgen. Für fanatische Islamisten bot sich der Kampf gegen »die Ungläubigen« an. Also gegen Amerika und den Westen. Für Osama Bin Laden persönlich kam hinzu, dass er vor Selbstbewusstsein strotzend nach Saudi-Arabien zurückkehrte, um festzustellen, dass er dort nicht gebraucht wurde. Der Irak überfiel Kuwait. Auch für die Saudis war das eine Bedrohung. Osama bot dem Königshaus an, dass er und seine Afghanistan-Kämpfer die Landesverteidigung übernehmen würden. Das wurde dankend abgelehnt, man verließ sich lieber auf die Amerikaner, die in großer Zahl nach Saudi-Arabien kamen und Militärbasen errichteten. Bin Laden kehrte nach Afghanistan zurück und war von nun an ein Staatenloser, voller Hass auf seine Heimat – und die Amerikaner. In den afghanischen Taliban fand Osama bin Laden religiöse Gleichgesinnte, auch wenn Taliban und al-Qaida nicht das Gleiche sind.
In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger geworden um al-Qaida; ob es so bleibt, weiß niemand. Es gibt genug, die bereit sind, im Namen des Heiligen Krieges zu töten. Zumal Terroristen ihre Anschläge immer seltener verabreden. Gerade deshalb ist es so schwer, Anschläge zu verhindern oder die Täter zu schnappen. Es kann also gut sein, dass irgendwo auf der Welt Bomben hochgehen und die Terror-bosse davon auch erst aus den Nachrichten erfahren. Eine Zeit lang war es noch so, dass einer der al-Qaida-Anführer über das Internet oder einen TV -Sender eine Videobotschaft übermittelte. Er erklärt darin zum Beispiel, dass man auch gegen die Verbündeten der verhassten USA kämpfen solle – Großbritannien oder Spanien. Das hört einer seiner Bewunderer in Marokko und plant mit ein paar Freunden einen Sprengstoffanschlag auf einen spanischen Pendlerzug. Ergebnis: Kurz danach gewann die spanische Opposition 2004 die Wahl und zog wie angekündigt Spaniens Soldaten aus dem Irak ab. Die Terroristen haben sich gefreut – Strategie aufgegangen.
Inzwischen ist al-Qaida aber nicht mehr so koordiniert. Al-Qaida zu sein, ist quasi Privatangelegenheit geworden, zig Grüppchen und Einzeltäter fühlen sich zugehörig und agieren auf eigene Kappe. Da ist wenig voraussehbar. Öffentliche Gebäude? Flugzeuge? Bombenkoffer in Regionalzügen? Wann und warum? Das ist der Horror des Terrorismus. Es ist zugleich die größte Schwäche dieses Terrorismus.
Nukleare Albträume
Bleibt der schwache Trost, dass die Chance,
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