Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
natürlich auch ganz praktische Aufgaben. Sie bieten den Bürgern ihres Heimatlandes Hilfe und Dienstleistungen im Ausland, beispielsweise kann man in einer deutschen Botschaft einen neuen Pass beantragen, wenn der alte auf einer Urlaubsreise verloren ging.
Die Kunst des feinen Umgangs
Wer in einem anderen Land eine Botschaft errichtet, erkennt diesen Staat diplomatisch an. Das an sich ist schon mal ein wichtiger Akt in den internationalen Beziehungen und keine Selbstverständlichkeit. Es gibt auch heute noch Staaten, die zwar faktisch existieren, aber von großen Teilen der Staatenwelt diplomatisch nicht anerkannt werden. Taiwan zum Beispiel, das sich selbst als »Republik China« bezeichnet. Weil die Volksrepublik China Taiwan als abtrünnige Provinz sieht und die meisten Staaten es wichtiger finden, diplomatische Beziehungen mit Peking zu haben statt mit Taiwan (und beides wäre diplomatisch nicht möglich), genießt Taiwan keine offizielle Anerkennung. Die Kontakte zu Taiwan laufen nur durch »inoffzielle« Kanäle. Eine heikle Angelegenheit – aber genau das ist die Spezialität von Diplomaten.
Sie überbringen ihren ausländischen Gastgebern »Botschaften« ihres Heimatlandes, das heißt, sie kommunizieren, erklären, werben um Verständnis (»mein Land sieht das so und so«), und das in beide Richtungen (»mein Gastland wird das nicht akzeptieren, da müsst ihr vorsichtig sein«). Diplomaten bereiten außerdem Gipfeltreffen vor und arbeiten an internationalen Verträgen mit, auch deshalb sind viele von ihnen Juristen. Aber mit Jura allein kommt man nicht weiter. Besonders auf den höchsten Ebenen, wenn man Botschafter in einem anderen Land ist, muss man die »Kunst der Diplomatie« beherrschen. Dafür sollte man nicht nur die formalen Regeln kennen, sondern sich auch in die »Seele« anderer Länder einarbeiten und Feingefühl haben.
Vor allem wenn es zu Konflikten kommt, ist diplomatische Kunst gefragt. Man muss dann nach Mitteln und Wegen suchen, wie sich alle Beteiligten am Ende als Gewinner fühlen können. Es geht also nicht darum, dafür zu sorgen, dass »meine Seite gewinnt«, sondern darum, die eigenen Interessen so geschickt mit den Interessen des anderen zu verweben, dass sich auch die Gegenseite am Ende gut fühlt, jeder also »sein Gesicht wahrt«.
Mit Kriegsherren und Diktatoren freundliche Beziehungen zu unterhalten, ist natürlich nicht angenehm. Der frühere UN -Generalsekretär Kofi Annan sagte nach seiner Amtszeit: »Ich musste vielen Teufeln die Hand schütteln.« Andererseits: Um überhaupt etwas zu erreichen, muss man ins Gespräch kommen. Deswegen ist Diplomatie gerade wichtig zwischen Staaten, die sich eigentlich überhaupt nicht verstehen. Häufig laufen solche Kontakte zum Beispiel über politische Stiftungen, die offiziell keine diplomatische Funktion haben und gerade deshalb stille Kontakte zu ungeliebten Regierungen aufbauen können und dürfen.
Aber es gibt natürlich auch den ganz direkten Weg auf höchster Ebene. Zum Beispiel über Telefonate zwischen Ministern oder Regierungschefs. Dann vereinbaren die Mitarbeiter des deutschen Außenministers oder Kanzlers mit den Kollegen des anderen Staates eine genaue Gesprächszeit. Außerdem wird geklärt, wer wen unter welcher Nummer anruft. Auch der Inhalt des Telefonats wird vorbesprochen. Dolmetscher werden gebucht. Solche Aktionen haben trotz mangelnder Spontaneität Vorteile: Man kann zum Beispiel demonstrieren, wie wichtig es Deutschland ist, mit dem Staat X über das heikle Thema Y zu reden. Die Gegenseite wird damit aber nicht überrumpelt, und man hält sich an ein gewisses »Wording«, um den anderen nicht übermäßig vor den Kopf zu stoßen.
Die verschlüsselten Codes der Diplomatensprache
Nach einem Regierungstreffen will die Öffentlichkeit natürlich wissen, wie es lief. Auch da ist es ähnlich wie im Privaten: Es gibt Formulierungen, die jeder versteht. »War ein netter Abend« ist etwas anderes als »War ein superschöner Abend« oder »Wurde ein richtig langer Abend«. In der Diplomatensprache gibt es typische Klauseln, mit denen man Dinge höflich umschreiben kann – man lügt nicht, formuliert es aber diplomatisch: »Wir hatten einen offenen und fruchtbaren Meinungsaustausch« ist eine solche Standardfloskel für »Wir haben uns heftig gestritten«.
Ein großer Vorteil der Diplomatensprache ist, dass sie weltweit verstanden wird. Ob man es nun auf Englisch, Französisch oder in der jeweiligen Landessprache
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