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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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konnte man noch gefahrlos »rübermachen«. Und das haben zahllose DDR -Bürger auch getan, darunter viele gut ausgebildete, die man im Staat dringend brauchte: Ärzte, Ingenieure usw. Bis zum Bau der Mauer flohen rund 2,7 Millionen Menschen, vorwiegend im arbeitsfähigen Alter, nach Westdeutschland. Die DDR -Führung fürchtete, dass sich ihr Land regelrecht »leerflüchtete«. Auch wer sich innerhalb der DDR auflehnte, lebte gefährlich. Selbst junge Menschen saßen im Gefängnis, weil sie politisch aufmüpfig gewesen waren. Wer zum Beispiel ein Flugblatt verteilte, in der Schule oder an der Uni, auf dem Freiheiten gefordert wurden, geriet sofort ins Visier von Polizei und Staatsschutz. Das ging so weit, dass Kinder von ihren Eltern gewaltsam getrennt wurden, wenn ihre Eltern »falsche« Meinungen vertraten oder versucht hatten, aus der DDR zu fliehen. Die Kinder wurden dann an Leute gegeben, die die »richtige« Gesinnung hatten, um dort zu guten Sozialisten erzogen zu werden. Das alles geschah vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den »Klassenfeind«, den kapitalistischen Westen. Hinter dem »Eisernen Vorhang«, der den sozialistischen Osten Europas unter Führung der Sowjetunion vom Westen trennte, war für Individualität und Meinungsvielfalt kein Raum.
    Pseudo-Parteienvielfalt der »Blockflöten«
    Der DDR -Staat wurde zentral geführt, es gab keine Bundesländer mit eigenen gewählten Landesregierungen. Über die politische Macht verfügte uneingeschränkt nur eine Partei, die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands). Für ihre Gründung wurde in der Sowjetischen Besatzungszone die SPD mit den Kommunisten (KPD) zwangsvereinigt. Die SED regierte diktatorisch, bestimmte, wer Richter wurde und welche Gesetze im Parlament verabschiedet wurden. Denn ein Parlament gab es durchaus, die Volkskammer, in der neben der SED noch die sogenannten Blockparteien saßen. Parteien, die formell nicht kommunistisch waren und in einem »Nationalen Block« zusammengefasst wurden. Als Opposition und Regierungsalternative waren sie allerdings nicht gedacht. Sie waren nur zugelassen, um den Schein von Parteienvielfalt zu wahren. So gab es eine CDU , die Christen ans System binden sollte. Inhaltlich folgte sie der Regierungspolitik. Im Volksmund wurden diese Blockparteien »Blockflöten« genannt, weil sie nur »nachflöteten«, was die SED ihnen in den Notenblock schrieb.
    Jahrzehntelang bezeichneten alle Veröffentlichungen des Springer-Verlages (etwa Bild , Welt oder Hörzu ) Ostdeutschland nur als »die sogenannte DDR «, weil dieser Staat sich zwar selbst demokratisch nannte, aber tatsächlich überhaupt nicht demokratisch war. (Umgekehrt war im Westen übrigens die Abkürzung » BRD « verpönt, es wurde stets von »der Bundesrepublik« gesprochen. Das Kürzel BRD wurde nur im Osten verwendet.)
    Ein Witz aus den siebziger Jahren beschreibt die Situation recht treffend: Nach einem offiziellen Gespräch geraten der westdeutsche Bundeskanzler Willy Brandt und der DDR -Regierungschef Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht ins Plaudern. Walter fragt Willy: »Mich würde interessieren, was für ein Hobby Sie haben.« Darauf Willy: »Ich sammle die Witze, die die Leute über mich machen. Und haben Sie auch ein Hobby?« Walter: »Ja, fast das gleiche wie Ihres. Ich sammle die Leute, die es wagen, Witze über mich zu machen.« Natürlich gab es in der DDR auch glückliche Lebensläufe, Menschen, die sich arrangierten, nicht mit der Staatssicherheit in Konflikt gerieten und im Alltag zufrieden lebten. Doch dem stehen viele unendlich bittere Schicksale gegenüber, die man aus DDR -Zeiten erzählen kann. Eine Freundin saß zum Beispiel als 18-jährige Schülerin im berüchtigten Gefängnis Bautzen. Ihr Vergehen? Sie hatte heimlich mit ihrer Mutter telefoniert, die kurz zuvor in den Westen geflohen war.
    1989 kam die »Wende«. Möglich wurde sie, weil in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow eine Reformpolitik begonnen hatte, die den Bürgern mehr Freiheiten zugestand. Vor dem Hintergrund der katastrophalen Wirtschaftslage in den Ostblockstaaten ging diese Entwicklung auch mit einer vorsichtigen Öffnung gegenüber dem Westen einher. Nach lang anhaltenden Protesten mutiger DDR -Bürger unter dem Schlachtruf »Wir sind das Volk!« öffnete die Regierung überraschend die Grenze und erlaubte die Ausreise. Damit war die DDR politisch am Ende; ein Jahr später wurde sie mit der Bundesrepublik vereinigt. Bis dahin hatte in der

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