Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
renoviert, entsprechend grau und teilweise marode sah es in der DDR aus.
Als einer der »Vorteile« der DDR gilt, dass niemand arbeitslos war. Das schien aber nur so: Weil alle Betriebe staatlich waren, mussten sie keinen Gewinn machen und deshalb auch keine Kosten einsparen. Sie konnten also so viele Leute beschäftigen, wie sie wollten. Es gab zahllose unproduktive Stellen in Partei und Verwaltungen. Weil es durch mangelhafte Planungen oft zu Verzögerungen im Produktionsablauf kam, saßen Mitarbeiter oft tatenlos herum. All das führte zu einer sogenannten verdeckten Arbeitslosigkeit: Hunderttausende von Menschen hatten zwar nichts zu tun, aber offiziell einen Job. Aus einer solch »unproduktiven« Wirtschaft eine hochproduktive zu machen, mit modernen Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb bestehen können, ist eine Riesenaufgabe, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Die sogenannte Produktivität (mit wie viel Arbeit und Kapitel wird welche Produktionsmenge erzeugt?) ist im Osten immer noch niedriger als im Westen.
Bei einer solchen Gegenüberstellung (»was war gut, was war schlecht«) bleibt jedoch festzuhalten: Die DDR war eine Diktatur, ein brutaler Unrechtsstaat. Das überschattet am Ende auch die guten Seiten, an die sich DDR -Bürger erinnern.
Das leichte Leben der anderen im Westen
Menschen, die sich vierzig Jahre lang mit diesem System arrangiert haben, ihr Angepasstsein zum Vorwurf zu machen, wäre allerdings unfair. Zumal wenn das mit westdeutscher Arroganz achselzuckend vermittelt wird – nach dem Motto: Pech gehabt, ihr wart halt auf der falschen Seite. Neben der viel zitierten »Gnade der späten Geburt«, die all jene Deutsche genießen, die nicht zur Hitler-Zeit leben mussten, gibt es auch eine Gnade der geografisch glücklicheren Geburt. Im Westen aufzuwachsen, war im Vergleich herrlich einfach. Und welcher Westdeutsche kann von sich behaupten, er hätte bestimmt zu den Oppositionellen gehört, wenn er in der DDR gelebt hätte? Tatsächlich? Hätte man das? Die Mutigen, die für ihre Überzeugungen große persönliche Nachteile in Kauf nehmen, sind erfahrungsgemäß immer und überall eine sehr kleine Minderheit. Die meisten von uns passen sich an. Man sucht sein privates Glück im Rahmen der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Und natürlich wurde auch in der DDR geliebt, gelacht und gefeiert, und das Glück oder Unglück in der eigenen Familie war meist wichtiger als die große Politik. Mit dem Unterschied, dass das Private auch immer politisch war, weil der Staat in Alltag und Familie massiv hineinregierte. Wer hingegen wie ich in der Bundesrepublik in den achtziger Jahren aufwuchs und in den Neunzigern seine berufliche Karriere startete, hatte politisch nichts zu befürchten. Auch als Journalist musste und muss man kein starkes Rückgrat zeigen, um kritische Interviews mit Politikern zu führen. Insofern erschreckt mich Zuschauerpost, in der ich gefragt werde, ob ich »Angst« haben müsste, weil ich diesem oder jenem Politiker in einem Interview zugesetzt habe. Nein! Ich muss selbstverständlich keine Angst haben. Generell ist mein Leben als Wessi immer äußerst angenehm gewesen; ich konnte beruflich alles machen, was ich wollte und wie ich es wollte – wie viel schwieriger war im Vergleich dazu ein Leben in der DDR !
Trotzdem hat man manchmal den Eindruck, gerade ältere Menschen in Ostdeutschland würden sich die DDR zurückwünschen. Tatsächlich wollen die meisten von ihnen sehr wohl in Freiheit leben – aber dabei weniger Unsicherheit und Ungerechtigkeit empfinden. In der DDR war klar, wie alles lief. Westliche, kapitalistisch ausgerichtete Demokratien bieten viel mehr Freiheiten und Chancen – es kann aber für den Einzelnen auch furchtbar viel schiefgehen. Das war in der DDR nicht so, solange man sich politisch angepasst verhielt, und dieses Gefühl der Sicherheit fehlt vielen. Hinzu kamen die schlechten Erfahrungen, die viele DDR -Bürger unmittelbar nach der Wende machten. Nicht nur, dass sie den Eindruck gewinnen mussten, dass ihnen das » BRD -System« ungefragt übergestülpt wurde und ihre eigenen Erfahrungen, Fähigkeiten, Kenntnisse und Meinungen gar nicht mehr zählten. Es handelte sich ja auch tatsächlich nicht um eine Wiedervereinigung auf Augenhöhe, in der zwei unterschiedliche Systeme sich vereinigen, sondern es lief politisch und ökonomisch auf eine »Übernahme« der DDR durch die Bundesrepublik hinaus. Viele DDR
Weitere Kostenlose Bücher