Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
den Diskussionen meiner Eltern und ihrer Freunde zu lauschen, ging es noch hoch her. Da beschimpften sich auch schon mal Freunde als »Du alter Sozi« (allerdings freundschaftlich-lachend). Man war entweder SPD oder CDU . Das ist heute schon in meiner Generation nicht mehr so und in den jüngeren Wählerschichten erst recht nicht. Auch gesellschaftliche Moralvorstellungen haben sich verändert. Ein schwuler Außenminister – das wäre in den achtziger Jahren noch undenkbar gewesen. Heute (zum Glück) nicht mehr. Damit verändert sich aber auch die Definition von »konservativ«. Darauf muss die CDU reagieren. Aber wenn selbst die CDU die sogenannte Homo-Ehe absegnet oder die Atomkraft ablehnt – wie konservativ ist sie dann noch? Was unterscheidet sie von den anderen Parteien? Ihre bayerische Schwesterpartei, die CSU , hat dieses Problem ebenfalls, tut sich damit aber noch etwas leichter, weil für sie immerhin »Bayern« als unveränderlicher Markenkern bleibt, auf den sie zurückgreifen kann.
    Opposition ist Mist – Regieren aber manchmal auch
    In einer Gesellschaft, in der die Bindung an bestimmte Weltbilder schwächer, spezielle Interessen, Themen und aktuelle Stimmungen hingegen gewichtiger werden, haben es die sogenannten Volksparteien generell schwerer. Das gilt für die Union ( CDU und CSU ) genauso wie für die SPD . Sie wollen das gesamte Volk mit allen seinen Bedürfnissen und Anliegen vertreten. Beide Parteien möchten es also gern »allen recht machen«, wobei die CDU es wirtschaftspolitisch den Unternehmern ein bisschen mehr recht macht und die SPD den Arbeitnehmern. Der Markenkern der SPD sind die Interessen der »kleinen Leute«, die eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse wünschen. Die Stammwähler der CDU finden sich eher in der Mittelschicht, der es gut geht, ohne aber richtig reich zu sein, und die Angst vorm Abstieg hat, ihren Status also bewahren will. Stark vereinfacht gesagt treffen sich hier Wahlprogramm und Wählerschaft: Die einen wollen verändern (verbessern), die anderen eher bewahren.
    Die Probleme der SPD mit ihrem Status als moderne Volkspartei sind dabei etwas anders gelagert als die der CDU . Die SPD sieht sich selbst als Nachfolgepartei des von Ferdinand Lasalle bereits 1863 in Leipzig gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und ist somit die älteste der im Bundestag vertretenen Parteien. Die Vorgängerorganisationen der heutigen SPD setzten sich damals für die Rechte der Arbeiter in den Fabriken ein: Arbeiterschutz, Achtstundentag, allgemeines Wahlrecht – alles Rechte, die für uns mittlerweile selbstverständlich sind. Und genau darin liegt die Brisanz für das politische Profil der SPD : Die Sozialdemokraten haben über Jahrzehnte sehr viele ihrer Forderungen durchgesetzt und stoßen an die Grenzen des finanz- und wirtschaftspolitisch Machbaren, sobald sie selbst an der Regierung sind. Wunsch und Wirklichkeit prallen dann hart aufeinander, viel härter als bei der Union. Für SPD -Politiker ist es ziemlich leicht, ihre Wähler zu enttäuschen. Kanzler Gerhard Schröder zum Beispiel wurde von den eigenen Leuten als »Genosse der Bosse« kritisiert, weil seine Politik als zu unternehmerfreundlich empfunden wurde. Das traditionell enge Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften war am Ende seiner Kanzlerschaft ziemlich vergiftet. Vor allem wegen der Sozialstaatsreformen der Agenda 2010, die Schröder gegen erbitterte Widerstände durchsetzte – und die bis heute ein wunder Punkt für die Genossen ist. Da half auch nicht mehr, dass Schröder für die SPD die Wahlen »in der Mitte« der Gesellschaft gewonnen hatte, also auch für Leute wählbar war, die es mit der SPD eigentlich sonst nicht so haben.
    CDU -Kanzler sind mit solchen Debatten seltener konfrontiert. Ihre Wähler erwarten weniger Veränderungen und soziale Verbesserungen und haben bislang übrigens auch weniger Alternativen. Wohin soll ein enttäuschter CDU -Wähler abwandern? Da landet man schnell am rechten Rand, und dort fühlen sich klassische Konservative mit christlichem Weltbild auch nicht wohl. SPD -Wähler hingegen können heute zur linkeren »Die Linke« wandern, ohne gleich das Gefühl zu haben, halbkriminelle Extremisten zu unterstützen. Oder sie wechseln zu den Grünen, wenn ihnen die SPD nicht umweltbewusst oder »modern« genug ist, was manchmal eher aus einem Gefühl erwächst als aus dem konkreten Wahlprogramm. Frustrierte CDU -Wähler hingegen bleiben dann lieber zu Hause. Oder

Weitere Kostenlose Bücher