Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
florierender Wirtschaft die Steuereinnahmen trotz niedrigerer Steuersätze insgesamt steigen. So jedenfalls die Theorie. Zu den liberalen Grundwerten gehört der Glaube an freien Handel genauso wie die Betonung persönlicher Freiheit, die mit einem gewissen Misstrauen gegenüber dem Staat einhergeht. Deshalb waren die Liberalen zum Beispiel auch gegen das Rauchverbot in Kneipen. Das Gleiche gilt für die »Globalisierung«: Liberale sind überzeugt, dass der freie Handel quer über den Globus am Ende allen mehr nutzt als schadet. Für eine wichtige Staatsaufgabe halten die Liberalen die Bildung, damit anschließend jeder möglichst leistungsfähig und erfolgreich sein kann. In dem Punkt stimmen aber eh alle Parteien mehr oder weniger überein. (Man fragt sich nur, warum es dann ständig Bildungsreformen gibt und Schüler und Eltern immer neue Experimente über sich ergehen lassen müssen.)
Das größte Problem der FDP ist, dass sie als Partei der »Besserverdienenden« wahrgenommen wird. Sie hat sich auch selbst mal so bezeichnet, was keine gute Idee war. Ihre Kernwähler sind zwar vor allem Unternehmer und (erfolgreiche) Freiberufler wie Ärzte und Rechtsanwälte. Aber »Besserverdienende« klingt doch zu sehr nach Porsche und Villa mit Swimmingpool. Wenn man aber als Klientelpartei wahrgenommen wird, schreckt das auch Wähler ab, die der liberalen Idee gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen sind. Für die FDP gilt außerdem wie für die Grünen: Das Spitzenpersonal muss überzeugen. Lange Zeit haben die Liberalen von ihrem Außenminister Hans-Dietrich Genscher profitiert, der als eine Art Superheld »Genschman« in der Bevölkerung ja ausgesprochen beliebt war. Er strahlte Erfahrung und Freundlichkeit aus, viele Wähler wollten ihn gerne behalten. Dass Genscher hinter den Kulissen ein ziemlich harter Hund war, der seinen Koalitionspartnern das Leben schwer machen konnte (was per se aber kein Nachteil für eine kleine Partei ist!) war der breiten Bevölkerung weniger bekannt. Für sie war er der nette Mann im gelben Pullover, dem die DDR -Bürger zujubelten, als er ihnen 1989 auf dem Balkon der Prager Botschaft, in die sie sich geflüchtet hatten, verkündete, dass ihre Ausreise bewilligt worden war. Von solchen herausragenden politischen Persönlichkeiten profitieren gerade kleine Parteien enorm.
Die Linke auf der Suche nach sich selbst
Das gilt auch für Die Linke, die einen großen Teil ihrer Attraktivität durch den ostdeutschen Gregor Gysi und den westdeutschen Ex- SPD ler Oskar Lafontaine bezogen hat. Umso mehr, als die alten SED -Anhänger, aus denen der ostdeutsche Teil der Partei hervorgegangen ist, naturgemäß weniger werden, so wie auch die Erinnerung an die DDR in den jüngeren Generationen verblasst. Die Parteifunktionäre mögen das ungern akzeptieren, aber aus den Erfahrungen anderer Parteien lässt sich voraussagen: Mit vielen gesichtslosen Kadern, ohne charismatische Führungspersönlichkeiten, wird das auf Dauer schwierig. Schwierigkeiten hat die Partei auch mit der DDR -Vergangenheit. Die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) benannte sich nach dem Mauerfall um in PDS (Partei des demokratischen Sozialismus), erst später in Linkspartei. Die ostdeutsche Linke ist insofern Nachfolgerin der DDR -Einheitspartei, die verantwortlich war für fast vierzig Jahre Diktatur, Mauerbau und viele Tote an der deutsch-deutschen Grenze. Sie versucht si ch von diesen dunklen Seiten zu distanzieren, ohne sich aber von der DDR als solcher zu distanzieren. Bei vielen Ex- DDR -Bürgern traf sie damit in den neunziger Jahren einen Nerv. Sie hielt weiterhin die sozialistische Flagge hoch, in Teilen der Partei auch den Glauben an den Kommunismus. Außerdem konnte sie sich in Ostdeutschland auf gut ausgebaute Parteistrukturen stützen, während andere Parteien dort bei null anfangen mussten. Die lokalen PDS -Politiker waren hilfreiche Ansprechpartner für all jene, die mit dem Wechsel zur Marktwirtschaft nicht klarkamen, mit Ungerechtigkeiten konfrontiert wurden oder schlichtweg auch unter dem Gefühl litten, um ihr Lebenswerk betrogen worden zu sein und ihre politische Heimat verloren zu haben. Als Berliner Korrespondentin war ich in den neunziger Jahren als Berichterstatterin auf einigen Parteitagen der PDS . Auffällig war damals, wie alt die Delegierten im Durchschnitt waren. Zum damaligen Parteichef Lothar Bisky sagte ich, dass man das Gefühl habe, auf einer Seniorenveranstaltung zu sein – was
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