Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
den Grünen manche Politiker gern im Rampenlicht bleiben. Und drittens, weil die meisten Wähler Personen wählen, die sie kennen, und sich nicht ständig an neue Gesichter gewöhnen wollen. Außerdem ist auch bei den Grünen die Auswahl an kompetenten und charismatischen Kandidaten nicht größer als bei anderen Parteien.
Im Wahlprogramm finden sich bis heute viele »linke« Positionen. Zugleich sind aber jene Grünen-Politiker besonders erfolgreich, zum Beispiel der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, die zu Studentenzeiten links waren, heute als grau melierte Politsenioren aber längst »bürgerlich« geworden sind. Bei den Grünen finden sich auch viele Mitglieder, die in der (evangelischen) Kirche engagiert und von Haus aus durchaus wertkonservative Menschen sind. Ähnliches gilt für die Grünen-Wähler: Da finden sich protestfreudige linke Globalisierungsgegner genauso wie gemütliche Besserverdienende, denen Umweltschutz wichtig ist und die auch grundsätzlich bereit sind, für den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft tiefer in die Tasche zu greifen. Aber wenn die Grünen dafür mit zu hohen Steuersätzen um die Ecke kommen, werden sich vielleicht manche dieser Sympathisanten das mit dem grünen Kreuzchen noch mal überlegen. Kurzum: Die Grünen sind schwer zu verorten. Paradoxerweise ist es inzwischen gerade für die Grünen wichtig, überzeugendes Spitzenpersonal zu haben, obwohl sie genau das ursprünglich abgelehnt haben. Winfried Kretschmann wäre im traditionell konservativen Baden-Württemberg nicht Regierungschef geworden, wenn er keine »bürgerlich-konservative« Ausstrahlung hätte.
Hinzu kam der Umgang der CDU -Vorgängerregierung mit dem umstrittenen Bahnhofsbau in Stuttgart. Der Protest gegen dieses große Bauprojekt und die Empörung über den massiven Polizeieinsatz gegen Demonstranten reicht tief in die bürgerliche Gesellschaft hinein. Unter den Demonstranten waren und sind eben auch konservative Rentner und schwäbische Hausfrauen. Das hatte die CDU -Regierung gewaltig unterschätzt. So traf das richtige Thema die richtige Person zur richtigen Zeit. Und solange die Grünen einen Markenkern haben, auf den sie immer wieder verweisen (»Wir haben ja immer schon gewusst, dass die Atomkraft gefährlich ist«), können sie auch als Mini-Volkspartei gut überleben. Das enthebt sie aber nicht der Aufgabe, ihr Themenspektrum zu erweitern. Aktuell versuchen sie, sich stärker mit der Frage nach »sozialer Gerechtigkeit« zu profilieren. Damit rücken sie wieder mehr nach links, nachdem zuvor jahrelang die Finanzexperten der Partei eine eher »konservative« Haushalts- und Steuerpolitik befürworteten. Alles in allem widerlegen die Grünen jedenfalls die These, dass kleine Parteien ein viel schärfer umrissenes Profil und eine einheitlichere Wählerschaft als große Parteien brauchen.
Konservativer Spagat
Für die CDU wird die Definition des Markenkerns schwieriger. Die Christlich Demokratische Union Deutschlands fand sich zwischen 1945 und 1949 in den verschiedenen Besatzungszonen und Bundesländern zusammen. Obwohl die CDU sich als »christlich« definiert, wird sie natürlich auch von Nichtchristen gewählt. Zum Beispiel von türkischstämmigen muslimischen Wählern, die eine konservative Grundhaltung haben oder sich als mittelständische Unternehmer bei der Union besser aufgehoben fühlen als bei der SPD . Die Förderung der Marktwirtschaft will die Union mit einem sozialen Miteinander verbinden und nennt das selbst »Freiheit in Verantwortung«. Historisch ist sie verwurzelt im katholischen Konservativismus. Nur: Was ist heute noch konservativ? Die Partei sieht sich vor einem Spagat: Einerseits will sie ihre traditionelle Wählerschaft nicht verprellen, zum Beispiel wenn es um das klassische Familienbild geht. Zugleich weiß die CDU natürlich, dass vor allem in Großstädten (und dort wohnen immer mehr Menschen) viele Wähler längst nicht mehr »klassisch« leben. Die gesellschaftliche Mitte hat sich verändert, sie ist liberaler geworden, und die heutigen Wähler wechseln schneller von einer Partei zur anderen. Politische Familientraditionen (»Wir Müllers waren immer schon CDU «) spielen keine so große Rolle mehr. Die Zeiten der ideologischen Links-rechts-Grabenkämpfe sind vorbei, heute streitet man eher über einzelne Themen als über das große Ganze. Als ich selbst anfing, mich für Politik zu interessieren, und es ziemlich spannend fand,
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