Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Wenn es um ein Sachthema geht, müssen ausreichend Kritiker zu Wort kommen, um Dampf ablassen zu können. Sie zu übergehen, wäre höchst ungeschickt. Gleichzeitig empfiehlt es sich, dass ein besonders starker Redner kurz vor der Abstimmung auftritt, um auf den letzten Metern die Unentschlossenen mitzunehmen. Wer wann redet, ist psychologisch wichtig und kann die Entscheidungen letztendlich beeinflussen. Sonst kann die Stimmung kippen. Es ist eben doch nicht so, als sei immer alles schon im Vorhinein ausbaldowert. Wer ein Spitzenamt haben will, muss einen Parteitag auch »rocken« können. Das ist wie bei einem Konzert: Erst kommen die Vorgruppen, man hat schon ziemlich lange rumgesessen oder gestanden, und dann will man endlich mal ausflippen können und echte Emotionen spüren (»Ja, dafür sind wir hier, das wollen wir«). Oskar Lafontaine tat das 1995 auf dem legendären SPD -Parteitag in Mannheim, als er um Rederecht bat und dann mit einer fulminanten Rede den damaligen Parteichef Scharping stürzte. Der wurde abgewählt – obwohl das überhaupt nicht vorgesehen war. Bei Angela Merkel war es hingegen keine Rede, sondern ein Zeitungsartikel, mit dem sie sich an die Spitze pushte. Ende 1999 veröffentlichte sie einen Beitrag in der FAZ , in dem sie die CDU aufforderte, sich von Helmut Kohl zu distanzieren, der nicht nur die Bundestagswahl 1998 verloren, sondern die Partei auch in einen der größten Spendenskandale der Republik verstrickt hatte. Kurz darauf wurde Merkel selbst zur neuen Parteichefin gewählt.
»Politik« ist (k)eine Wissenschaft
Es könnte so einfach sein: Man studiert Politologie und wird Politiker. Aber so ist es natürlich nicht, wie wir alle wissen (denn Politologie ist ja nur die Wissenschaft von der Politik). Die wenigsten Politiker sind Politologen. Tatsächlich werden Politologen nur sehr selten Politiker – vielleicht weil sie wissen, was alles schiefläuft in der Wirklichkeit? Viele studierte Politologen und Ökonomen finden lieber einen Job als Journalisten. Beobachten und kritisieren kann nämlich weit angenehmer sein, als es selber zu machen! Eigentlich ist der Politiker-job auf den zweiten Blick gar nicht so begehrenswert. Viele Bürger denken zwar, dass Abgeordnete ein eher stressfreies und gut bezahltes Leben führen. Aber so ist es nicht. Natürlich kann ein Wechsel in die Politik auch finanziell attraktiv sein. Schon als Landtagsabgeordneter verdient man mehr als ein Grundschullehrer in Solingen oder ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur Chemnitz. Zumal wenn zur Abgeordnetendiät noch Aufwandspauschalen hinzukommen, zum Beispiel für Reisekosten und Zweitwohnung. Als kürzlich in Bayern herauskam, dass Landtagsabgeordnete ihre Ehefrauen oder Geschwister als bezahlte Büromitarbeiter beschäftigten, war das natürlich auch Wasser auf die Mühlen all jener, die Politikern Selbstbedienungsmentalität vorwerfen. Trotzdem: Der Job des Politikers ist anstrengend, jedenfalls dann, wenn man auf höheren Ebenen angelangt ist. (Auf den unteren wiederum muss man befürchten, bei schlechten Wahlergebnissen seinen Posten schnell wieder loszuwerden.) Man wird häufig beschimpft, man verdient bei Weitem nicht so gut wie Manager, hat aber genauso wenig Zeit für sein Privatleben. Auf alle Fälle ist Politiker kein Beruf wie jeder andere.
Jeder Bürger zahlt dem Abgeordneten seines Wahlkreises im Bundestag knapp einen Euro jährlich; die Kosten für Mandatsträger in Landtagen liegen zwischen 89 Cent (Baden-Württemberg) und 4,37 Euro (Bremen) pro Bürger. In Deutschland verdienen nur etwa 3000 Personen mit Politikmachen genug Geld, um davon zu leben. (Zum Vergleich: Es gibt zum Beispiel knapp 50000 hauptberufliche Journalisten und 350000 praktizierende Ärzte.) In Parteien und Institutionen finden natürlich jede Menge Leute bezahlte Arbeit als Referenten, Assistenten, Sachbearbeiter. Und die haben gute Chancen, später als Politiker im Rampenlicht zu stehen. Aber auch sie beginnen im Normalfall in einem anderen Beruf. Insgesamt aber gibt es definitiv mehr Metzger, Taxifahrer, Sekretärinnen, Ingenieure oder Computerfachleute und auch Politologen, die von ihrem Beruf leben können, als Politiker.
Die meisten Abgeordneten erlernen erst einmal einen anderen Beruf, bevor sie hauptberuflich in die Politik gehen. Machen wir mal die Probe und schlagen nach, welche Berufe die Abgeordneten des 17. Deutschen Bundestages haben oder hatten. Damit die Auswahl auch wirklich zufällig ist, nehmen wir
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