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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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meiste Arbeit und finden damit auch die meisten Diskussionen in den parlamentarischen Fachausschüssen statt. Die tagen in der Regel nicht-öffentlich. Die spätere Debatte im gesamten Bundestag dient vor allem dazu, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, warum diese oder jene Entscheidung getroffen wurde beziehungsweise warum diese oder jene Entscheidung aus Sicht der Opposition falsch ist.
    Die meisten Vorhaben werden in den Ministerien vorbereitet und dann in Bundestagsausschüssen vorab besprochen. Deshalb nennt man den Bundestag auch ein »Ausschuss-Parlament«. Alle Abgeordneten sind in mindestens einem Fachausschuss Mitglied. Weil dort aber in der Regel kein Fernsehen dabei ist, sieht man nicht, wie sie arbeiten. Die Ausschüsse fragen oft externe Fachleute (zum Beispiel Wissenschaftler) um Rat. Die Abgeordneten in den Ausschüssen informieren dann die anderen Abgeordneten ihrer Partei. Kein Abgeordneter kann überall gleich gut Bescheid wissen, also hat jeder sein Spezialgebiet und verlässt sich bei anderen Themen auf seine Parteikollegen. In den Ausschüssen sind jeweils alle Fraktionen sowie auch die fraktionslosen MdBs vertreten. Es ist nicht immer leicht, für jeden Abgeordneten einen Themenbereich zu finden, mit dem er sich beschäftigen will oder mit dem er sich auskennt. Und natürlich sind manche Ausschüsse auch begehrter als andere, da herrscht durchaus Konkurrenz. Der wichtigste und prestigeträchtigste ist der Haushaltsausschuss. Seine Mitglieder werden in Berlin ehrfurchtsvoll »Die Haushälter« genannt. Der Haushaltsausschuss kontrolliert das Finanzgebaren der Regierung und übt damit eine zentrale parlamentarische Kontrollfunktion aus. Seine Mitglieder sind also mit dem wichtigsten Bereich der Politik befasst, nämlich mit der Frage: Wer kriegt wofür wie viel Geld? Deshalb gehören die »Haushälter« auch zu den einflussreichsten Parlamentariern. Sie sind die begehrtesten Ansprechpartner für Lobbyisten – und manchmal sind sie sogar selbst Lobbyisten in eigener Sache und sorgen geschickt dafür, dass ein bisschen Geld übrig bleibt für ihren Wahlkreis oder ihr persönliches Interessengebiet. Natürlich ganz legal – aber da die Materie so unheimlich kompliziert ist, reden den Haushältern in der Regel nur andere Haushälter rein. Die meisten Abgeordneten finden die Zahlensalate der Haushälter ähnlich mühsam wie der normale Wähler. Im Haushaltsausschuss wird auf ziemlich hohem Niveau diskutiert, dort sind die Finanzfachleute unter sich. Solche Expertendebatten würden sich die meisten Fernsehzuschauer auch gar nicht ansehen wollen, spätestens nach fünf Minuten ginge die Quote gegen null. Für die öffentlichkeitswirksame »Verkaufe« sind später häufig andere Fraktionsmitglieder zuständig. Sie gießen die komplizierte Arbeit der Haushälter in schwungvolle Rhetorik, wenn es zur Generaldebatte im Bundestag kommt. Auch das ist Arbeitsteilung.
    Brot und Spiele: Anfragen, Ausschüsse, Abweichler
    Ausschüsse, Anfragen und Abstimmungen gehören zum täglichen Brot der Parlamentsarbeit. Meistens unspektakulär. Sie können aber auch zu dramatischen Machtspielen werden. Spezielle Ausschüsse sind die »parlamentarischen Untersuchungsausschüsse«. Sie werden zu bestimmten Themen eingerichtet, wenn es um große Konflikte geht und um die Frage, wer versagt hat oder sich gar unrechtmäßig verhalten hat. Zu den Parteispendenskandalen etwa gab es diverse Untersuchungsausschüsse. Untersuchungsausschüsse wirken ein bisschen wie Gerichtsverfahren, und genau darin liegt auch der Reiz für die Parlamentarier: Regierungsmitglieder öffentlich vorzuführen. Hochrangige Politiker werden vorgeladen und streng befragt wie Verdächtige auf einer Anklagebank. Diejenigen, die böse Fragen stellen, sind die Vertreter der gegnerischen Parteien, meist der Opposition. Die Parteifreunde der Vorgeladenen bemühen sich derweil um Verteidigungsstrategien. Insofern wird vor allem Politshow inszeniert. Aber man sollte die Arbeit von Untersuchungsausschüssen nicht unterschätzen. Manches Mal ist durch deren unnachgiebiges Nachfragen einiges ans Tageslicht gekommen. Beim aktuellen Untersuchungsausschuss zu den Neonazi-Morden des NSU lassen sich die Parteigrenzen nicht klar definieren. Die Mordserie zog sich über zehn Jahre, und es waren mehrere Bundesländer mit unterschiedlich parteipolitisch geprägten Regierungen und deren Sicherheitsbehörden betroffen. Deshalb lassen sich die Fehler nicht einer

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