Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Wahlkampfschlacht, die auf offener Bühne in der Länderkammer ausgetragen wurde, entgegen allen Gepflogenheiten. Kurz zusammengefasst: Es kam auf die Stimme Brandenburgs an, das sich aber nicht entscheiden konnte, weil es von einer großen Koalition regiert wurde. Die SPD versuchte daraufhin, zu tricksen und die Brandenburger im Bundesrat dem »Ja«-Lager zuzuzählen, obwohl es von dort offensichtlich kein einheitliches Ja gab. Die Union wiederum hatte mit diesem unfeinen Manöver gerechnet und die öffentliche Empörung ihrer Ministerpräsidenten am Vorabend verabredet. Mit Ruhm hat sich dabei keine der beiden Seiten bekleckert. Dieser Eklat war allerdings tatsächlich eine Ausnahme. Die Sitzungen von Land- und Kreistagen hingegen ähneln den kontrovers geführten Bundestagsdebatten, einschließlich lauten Zwischenrufen oder heimlichen Abweichlern.
Im Fegefeuer der Fraktion
Die Fraktionen in Bundestag oder Landtagen sind normalerweise mit den Parteien identisch, das heißt, eine Partei bildet eine Fraktion (nur die beiden Parteien CDU und CSU haben im Bundestag eine gemeinsame Fraktion). Wer nicht in einer Partei ist, aber dennoch ein Bundestagsmandat hat (zum Beispiel durch Parteiaustritt nach der Wahl oder Direktmandat), kann keiner Fraktion angehören. Was ziemliche Nachteile hat, wie die fraktionslosen Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch schmerzlich feststellten, als sie 2002 dank ihrer gewonnenen ostdeutschen Wahlkreise in den Bundestag einzogen, während ihre Partei (damals noch die PDS ) es bei den bundesweiten Zweitstimmen nicht über die 5-Prozent-Hürde geschafft hatte. Da saßen sie nun und saßen sehr alleine. Alles mussten sie selbst machen, sich um jedes Gesetz selbst kümmern; sie hatten keinen Apparat, der ihre Arbeit unterstützte. Und eigene Gesetzesinitiativen durften sie auch nicht einbringen, denn das darf nur eine Fraktion. Andererseits hatten sie auch mehr Freiheit – ohne Fraktionschef, der einem auf die Finger schaut.
Der Fraktionschef ist dafür zuständig, dass alle wissen, welche Themen anstehen, was die Mehrheit der Fraktion will, und er führt dabei manchmal auch ein hartes Regiment, im Sinne der »Fraktionsdisziplin«: Ein Abgeordneter soll sich so verhalten, wie seine Fraktion (und somit meist seine Partei) es will. Der Verfassung nach sind Abgeordnete zwar nur ihrem Gewissen verpflichtet. Aber sie wollen ja wiedergewählt werden, nehmen also in der Regel doch lieber Rücksicht auf ihre Partei und ihre Wähler. Die meisten von ihnen möchten auch von ihrer Partei gemocht werden und noch politische Karriere machen; deswegen lassen sie Wünsche der Kollegen in ihre Entscheidung einfließen. Und natürlich wissen die Abgeordneten, dass die meisten Wähler nicht sie persönlich, sondern ihre Partei gewählt haben. Sich andauernd abzukoppeln, wäre insofern auch demokratisch nicht korrekt. Außerdem verlassen sich die Abgeordneten auch auf die Expertise ihrer Kollegen. Wenn die Fraktionsführung also sagt, unsere Fachleute haben entschieden, dass das Gesetz X richtig ist, dann halten sich die anderen Abgeordneten in der Regel daran. Trotzdem gibt es Situationen, in denen Abgeordnete eine andere Meinung vertreten als die Mehrheit ihrer Fraktionskollegen, zum Beispiel war das 2013 bei der »Frauenquote« für Führungspositionen in der Wirtschaft der Fall. Bei den Frauen in der Unionsfraktion und auch bei der CSU gab es große Sympathien für ein entsprechendes Gesetz, das von der Mehrheit in der CDU und vom Koalitionspartner FDP aber abgelehnt wurde. Der Ärger darüber ging bei den Unionsfrauen so weit, dass es sogar ein Gerücht gab, sie würden unter Führung von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen einen heimlichen Putsch gegen die eigene Fraktionsführung planen und sich mit der Opposition verbrüdern beziehungsweise verschwestern. SPD , Grüne und Linkspartei rieben sich schon die Hände: Wäre das ein Ding! Ein Quotengesetz durchzubringen, gegen den Willen der Regierung, mit Hilfe von AbweichlerInnen aus CDU und CSU . Welch ein Spektakel! Dazu kam es dann allerdings nicht. Die »Aufständischen« gaben nach. Sie konnten ihrer Partei aber immerhin ein Zugeständnis abringen. Künftig soll eine feste Frauenquote für Führungspositionen ins Wahlprogramm der CDU aufgenommen werden.
In solchen Streitfällen versucht die Fraktionsführung, die Herde zusammenzuhalten. Das kann auch bedeuten, dass sich der Fraktionschef einzelne Abweichler im Zweiergespräch zur Brust
Weitere Kostenlose Bücher