Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
bestimmten Partei zuordnen.
Ein anderes interessantes Instrument sind die sogenannten »Anfragen«: Parlamentarier können der Regierung (Landesregierungen genauso wie Bundesregierungen) konkrete Fragen stellen. Das kann auch mit zeitlichem Vorlauf schriftlich geschehen. Zum Beispiel: »Stimmt es, dass unsere Soldaten in Afghanistan nicht genug Schutzwesten haben?« Oder: »Herr Ministerpräsident Wulff, gibt es Geschäftskontakte zwischen Ihnen und dem Unternehmer, der Ihnen einen privaten Hauskredit gegeben hat?« Darauf müssen die Befragten in einer Fragestunde reagieren. Für die Opposition kann das ein hübsches Instrument sein, um der Regierung öffentlichkeitswirksam zuzusetzen. Aber auch Regierungen greifen gern in die »Trickkiste« der parlamentarischen Geschäftsordnung, um solche Angriffe der Opposition abzuwehren. Im Juni 2013 etwa hatten die Oppositionsfraktionen eine Fragestunde beantragt, zum gescheiterten Rüstungsprojekt »Euro Hawk« (dabei handelte es sich um Aufklärungsdrohnen, die in den USA gekauft wurden, ohne abzuklären, ob diese speziellen unbemannten Flieger über dem europäischen Luftraum überhaupt zugelassen sind. Ein paar hundert Millionen Euro wurden damit in den Sand gesetzt). Verteidigungsminister Thomas de Maizière sollte mit lauter unangenehmen Fragen im Bundestag ordentlich »gegrillt« werden, wie es im Politjargon heißt. Die Fraktionen der Regierungskoalition hatten aber eine bessere Idee: Sie setzten flugs für denselben Tag eine »Aktuelle Stunde« zu diesem Thema an. Damit war die »Fragestunde« der Opposition hinfällig. In einer »Aktuellen Stunde« muss sich ein Minister zwar auch äußern, aber er muss während der öffentlichen Sitzung im Plenarsaal keine Fragen von den Abgeordnetenbänken beantworten, wenn er das nicht will. Zweifellos die angenehmere Variante, wenn man unter Druck steht. Die unangenehmen Fragen im Verteidigungsausschuss wurde er damit zwar nicht los, aber der Ausschuss tagt nicht-öffentlich.
Meist wird unter den Abgeordneten im Bundestag per Handzeichen abgestimmt, oder durch Aufstehen beziehungsweise Sitzenbleiben. Es kann aber auch mal tierisch zugehen – wenn der Bundestag den »Hammelsprung« macht. Fallen Ergebnisse sehr knapp aus und die Vorsitzenden sind nicht sicher, wie eine Abstimmung ausgegangen ist, wird ein sogenannter Hammelsprung durchgeführt. Dafür verlassen alle Abgeordneten den Saal, und dann kehrt das »Stimmvieh« durch spezielle Türen – eine für JA , eine für NEIN , eine für ENTHALTUNG – wieder zurück. Wie Schäfchen, die vom Hirten gezählt werden. Da kommt Bewegung ins Plenum! Gezählt werden die Stimmen von den Schriftführern. Diesen »Hammelsprung« durch verschiedene Türen gab es schon in der Kaiserzeit; er wurde 1874 eingeführt. Bemerkenswert daran ist: Die Abgeordneten können sich zwar in Debatten per Knopfdruck elektronisch zu Wort melden und haben auch längst alle ihre iPads und Laptops vor sich stehen, aber abgestimmt wird im Bundestag nach weit zurückreichender Tradition und nicht per Computer. Das hat durchaus einen Sinn: Den »Sprung« durch eine Tür kann man nicht türken, und kein Hacker kann ihn manipulieren. Alternativ zu Handzeichen und Hammelsprung gibt es bei wichtigen Entscheidungen noch die schriftliche namentliche Abstimmung: Jeder Abgeordnete geht einzeln zu einer Wahlurne und wirft seine Stimmkarte ein. Geheime Abstimmungen sind selten – immer geheim gewählt werden allerdings der Bundeskanzler und auch die Ministerpräsidenten in den Landtagen. Deshalb konnte es in der Vergangenheit zu bösen Überraschungen kommen. Wer die heimlichen Abweichler oder Überläufer waren, ist schwer herauszufinden. Ganz bitter erwischte es zum Beispiel die frühere Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis. Als sie im März 2005 von den Abgeordneten im Kieler Landtag wiedergewählt werden sollte, fehlte plötzlich eine Stimme, – und es kam damals auf jede einzelne Stimme an. Irgendein Abgeordneter, vermutlich sogar von ihrer eigenen Partei und nicht vom vorgesehenen Koalitionspartner, verweigerte ihr heimlich die Gefolgschaft, mit dramatischen Folgen: Statt Frau Simonis von der SPD wurde der CDU -Politiker Peter Harry Carstensen neuer Regierungschef. Statt einer rot-grünen Landesregierung gab es eine große Koalition. Und Frau Simonis schied ganz aus der Politik aus, niedergestreckt von einem »hinterhältigen Dolchstoß«, wie sie sagte.
Übeltäter, Klugscheißer und
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