Kap der Finsternis: Roman (German Edition)
du ’ne Kippe für mich, Bruder?«
Der Mann kramte eine zerknautschte Packung Luckies aus der Hosentasche und bot sie ihm an. Benny nahm eine und schob sie sich zwischen die Lippen.
»Weißt du, Gatsby hat mal auf mich geschossen«, sagte der Mann, als er Benny Mongrel Feuer gab.
»Und wie kommt’s, dass du noch hier bist?«
»Er hatte wohl gute Laune.« Der Mann lachte bitter auf, drehte sich um und lief humpelnd davon.
Benny Mongrel entfernte sich in die entgegengesetzte Richtung und paffte hinter vorgehaltener Hand an seiner Zigarette. Der Wind hatte sich gelegt und die Luft hing schwer über den Flats.
Carmen Fortune ging zurück zu ihrem Wohnblock. Sie war erleichtert, dass sie Gatsby nicht mehr im Nacken hatte. Das war zumindest was.
Sie kam an einem Weißen vorbei, der in einen verbeulten Ford stieg. Die meisten weißen Männer, die man hier auf den Cape Flats sah, waren Bullen, aber dieser hier sah nicht so aus. Er blutete am Kopf und schien verwirrt zu sein. Wirkte verloren. Als er anfuhr, krachte das Getriebe.
Sie stieg die Treppe hinauf, und als sie oben auf dem Absatz ankam, sah sie ihren Nachbarn Whitey Brand mit ihrem Fernseher aus ihrer Wohnung kommen, einfach so, als wäre das normal.
»Hey, was zum Teufel!« Carmen stürmte die letzten Stufen hoch.
Whitey sah sie nur an und ging dann ungerührt weiter.
Die Tür zu Carmens Apartment stand offen. Sie war zersplittert, als hätte jemand sie eingetreten. Dann sah sie Whiteys Bruder Shane, der sich über ein paar tote Kerle in ihrem Wohnzimmer beugte – Typen, die sie nicht kannte – und sich ihre Mobiltelefone und das Bargeld einsteckte.
Carmen glaubte, ein besonders übles Tik-Tief zu erleben und ernsthaft den Verstand zu verlieren. Sie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie, wie Shane sich mit vollen Händen an ihr vorbeischob. Die toten Männer waren immer noch da und bluteten auf ihren Teppich. Und die Sirenen dröhnten in ihrem Schädel.
Sie drehte sich um und ging. Hier gab es nichts mehr für sie zu holen.
Disaster Zondi stand da und betrachtete die verkohlten Überreste von Rudi Barnard. Es stank nach verbranntem Menschenfleisch. Die Kleidung hatte sich in die Haut eingebrannt. Das Haar war versengt. Die Schuhe waren an den Füßen festgeschmolzen. Der Reifen war komplett verbrannt, nur der innere Stahlring, der nun das umschloss, was mal Barnards Hals und Brustkorb gewesen waren, war noch übrig.
Es war Jahre her, Jahrzehnte, dass Zondi ein Necklacing gesehen hatte. Das erste Mal war Mitte der Achtziger bei der Beerdigung eines jungen Aktivisten in Soweto gewesen. Er war damals sechzehn oder siebzehn. Die Kameraden hatten eine junge Frau aufgegriffen, die man beschuldigte, ein Polizeispitzel zu sein. Zondi erinnerte sich, wie er in den Wahn eingestimmt, Freiheitslieder gesungen und den Toyi-Toyi getanzt hatte, als die Frau verprügelt und gesteinigt wurde. Ein Typ, der jünger war als Zondi, schob der Frau eine zerbrochene Flasche in die Vagina. Dann wurde sie in einen Reifen gesteckt und bei lebendigem Leib verbrannt.
Das Necklacing war ihm überhaupt nicht grausam erschienen, vielmehr war es berauschend, ja erregend gewesen. Es hatte ihm ein unglaubliches Machtgefühl gegeben, ihm und den unzähligen anderen Jugendlichen, die dabei waren, den Feind in die Knie zu zwingen.
Zondi hatte damals, ganz im Sinne der Zeit, das Gebetbuch der Missionsschule gegen das ansprechendere Manifest Leo Trotzkis eingetauscht. Und warum sollte er Schuldgefühle haben, wenn sie ihre Feinde auf diese Weise exekutierten? Immerhin hatte die Mutter der Nation, Winnie Mandela – Nelsons Frau –, vor ihnen gestanden, ihren Taten applaudiert und ihnen gesagt, sie würden das Land mit ihren Reifen und Streichholzschachteln befreien.
Zondi hatte ein paar weitere Necklacings erlebt. Aber er hatte seine Erinnerungen daran schon lange verloren. Jetzt, da er, wie viele andere Menschen, im einundzwanzigsten Jahrhundert gestrandet war, ohne feste Moralvorstellungen, wurde er stärker durch das geprägt, was er nicht mehr glaubte, als durch das, was er glaubte.
Aber die Sache mit Barnard, musste er eingestehen, besaß eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit.
Er hörte, wie sich zwei junge Farbige in Uniform unterhielten, die den Tatort absperrten.
»Beschissene Art zu sterben.«
»Ja. Ich kann sicher eine ganze Woche nicht bei Kentucky essen.«
Sie lachten und begannen, über ein anstehendes Rugby-Länderspiel zu reden.
Zondi warf
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