Kap der Finsternis: Roman (German Edition)
noch einmal stehen, als sie die Tür öffnete. »Und übrigens«, sagte sie und zeigte auf ihren Mund, »Sie haben Lippenstift auf den Zähnen.«
Als sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, fühlte sie sich so gut wie schon sehr lange nicht mehr. Sie wusste, dass es nicht anhalten würde, aber scheiß doch drauf, sie genoss den Augenblick.
Als sie dann die Tulip Street erreichte, hörte sie die Menge schon, bevor sie sie sah. Ein gedämpftes, aggressives, animalisches Gebrüll. Carmen schob sich durch den Mob und sah eine blutige Gestalt im Dreck liegen. Sie brauchte eine Weile, bis sie Gatsby erkannte. Donovan September schlug mit dem Hammer auf ihn ein und einige andere Männer und Jungen bearbeiteten ihn mit Tritten. Die Menge brüllte begeistert, verlangte nach Rache.
Carmen konnte ihren Blick nicht abwenden. Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass das, was sie da sah, die Wirklichkeit war, keine Tik-Halluzination, und sie hörte ihre eigene Stimme, wie sie in den Chor einstimmte und das Blut des fetten Buren forderte.
Burn kam gerade noch rechtzeitig angelaufen, um zu sehen, wie der Mob sich um Barnard zusammenzog. Burn tauchte in die Menge, schob Körper beiseite, seine weiße Haut und der amerikanische Akzent ließen die Leute überrascht zur Seite weichen.
»Halt! Tötet ihn nicht!«
Der Junge mit dem Hammer sah einen Moment auf und hielt inne. Dann machte er sich wieder an die Arbeit und zertrümmerte Barnards Kopf wie einen Kürbis.
Burn versuchte, die Mossberg auf den Jungen zu richten, aber Hände aus der Menge entwendeten ihm die Waffe. Er wurde angerempelt, beschimpft, und er spürte die erste Faust an seinem Unterkiefer. Dann traf ihn ein Stein über dem linken Ohr, und er sank zu Boden. Die Menge wurde zu einem einzigen Organismus, der ihn von den Füßen hob und in den Sand warf.
Berenice September, auf ihrem Heimweg von der Arbeit, kam gerade in dem Moment dazu, als der Mob sich teilte und ein Kind einen Reifen in die Mitte rollte.
Sie sah die unverwechselbare Gestalt von Gatsby im Sand liegen. Und sie sah ihren Sohn, ihren ernsthaften Jungen, den sie so sehr liebte, über den Bullen gebeugt und mit einem blutigen Hammer in der Hand.
»Donovan! Nein, Donovan!«
Ihr Sohn blickte zu ihr auf, und sie sah sein Gesicht, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte.
Dann schloss sich die Menge wieder.
Donovan September griff den Reifen, hob Gatsbys Kopf und stülpte ihn ihm um den fetten Hals wie eine Kette. Dann wurde ein Benzinkanister durch die Menge nach vorne gereicht, und Donovan übergoss den Körper des fetten Mannes.
Gatsby war immer noch am Leben, sein Oberkörper pumpte, seine Hände streckten sich zum Himmel. Der Mob wich ein paar Schritte zurück, Donovan September entzündete einen Lumpen und warf ihn auf den fetten Mann.
Gatsby ging in Flammen auf.
Benny Mongrel stand am Rand der Menge und sah zu, wie sie über den Bullen herfielen. Jeder Schlag, der aus der Menge auf den fetten Mann niederging, verminderte sein Verlangen nach Rache.
Es war richtig, dass das hier passierte.
Es war gut.
Es war, was ihn hergeführt hatte.
Benny Mongrel schaute zu, wie die Flammen den Mann vernichteten, der seinen Hund getötet hatte.
Rudi Barnard schwamm in dem See aus Feuer, den sein Priester prophezeit hatte. Die Flammen brannten durch die Schichten seiner Haut.
Er hob die Arme und hieß sie willkommen, obwohl sie sein Fleisch mit grausamen Schmerzen verzehrten. Das war es, wodurch er die Erlösung empfing, das Geschenk der Stimmen, wenn er dann dem Feuer entstieg, frei von menschlichen Sünden, und seine Belohnung in Empfang nahm.
Er sah sich um in diesem See aus Feuer, und da waren die Sünder, die verlorenen Seelen, dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit in dieser Hölle zu schmoren. Er versuchte aufzustehen, einen Schritt vorwärts zu tun, hin zu dem Licht, von dem er wusste, dass es vor ihm lag.
Aber er konnte nicht.
Das brennende Wasser hielt ihn zurück. Die Glieder der Verdammten umfassten ihn und zogen ihn tiefer und tiefer in das Inferno. Er versuchte ein letztes Mal, sich dem Licht zu nähern, das schwächer und schwächer wurde. Dann, als das Licht für immer erlosch, wusste Rudi Barnard schließlich seine Antwort.
Sein Gott war tot.
KAPITEL 31
Susan Burn lag im Operationssaal. Ein steriler Umhang schirmte ihren Unterleib vor ihren Blicken ab.
Sie fühlte sich leer und erschöpft. Anders als bei Matts Geburt hatte sie keine Hand, die sie halten konnte,
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