Kaperfahrt
mussten fast eine Stunde warten, ehe Dr. Emile Bumford aus seinem Zelt auftauchte. Für jemanden, der drei Viertel seines Teams verloren hatte, erschien der brave Doktor nicht sonderlich beunruhigt. Er gähnte theatralisch, während er in die Sonne trat, als hätte er in der Nacht einen ruhigen, ungestörten Schlaf gehabt. Ausstaffiert mit einem lächerlichen Safarianzug mitsamt Panamahut, schlenderte er zum Kantinenzelt. Mehrere Köche arbeiteten an Grillstationen, die hinter dem Zelt aufgebaut worden waren. Zwar drangen die appetitlichen Düfte nicht bis zu Linda und Linc vor, aber beide glaubten, das würzige Aroma von Spiegeleiern und Bratkartoffeln wahrnehmen zu können. Ihr Frühstück hatte aus kalten Fertigrationen bestanden. Die Mahlzeit dauerte lange. Höchstwahrscheinlich hatte anschließend eine Belegschaftsversammlung stattgefunden. Die Studenten verließen die Kantine als Erste, kehrten zu ihren Zelten zurück, um ihre Arbeitsgeräte zu holen, und wanderten über eine kleine Erhebung zu den römischen Ruinen hinüber. Die Lehrer ließen sich ein wenig mehr Zeit, aber auch sie verschwanden bald hinter dem Hügel, der das Lager von der Ausgrabungsstätte trennte.
Nachdem alle anderen das Lager verlassen hatten, kehrte Bumford zu seiner Unterkunft zurück. Er hielt sich nur für eine knappe Minute in seinem Zelt auf, bevor er es sich auf einem Campingstuhl unter einem Sonnendach vor dem Zelteingang gemütlich machte. Das Buch, das er aufschlug, war mindestens so dick wie ein Lexikon. Linc hätte sich am liebsten ins Lager geschlichen und Bumford herausgeholt, aber ein paar eingeborene Angestellte waren damit beschäftigt, schmutzige Wäsche einzusammeln und die Zelte der Studenten zu reinigen.
»Ich habe während meines ersten Studienjahrs an einem Archäologiekurs teilgenommen«, flüsterte Linda. »Dabei verbrachten wir ein langes Wochenende mit Ausgrabungen. Uns stand aber niemals auch nur annähernd so viel Hilfspersonal zur Verfügung.«
»Für euch hat sich auch nicht das Außenministerium in Unkosten gestürzt und einige seiner Leute mitgeschickt.«
»Das ist richtig. Was hältst du von Bumford?«
»Wenn du mich so fragst, würde ich sagen, dass er sich hier draußen einen schönen Tag macht und es sich gut gehen lässt, sonst aber keine Eile hat herauszufinden, was Alana Shepard und den anderen zugestoßen ist.«
»Nett«, sagte Linda sarkastisch.
Der tunesische Regierungsvertreter näherte sich Bumford etwa eine Stunde, nachdem er sich auf seinem Campingstuhl niedergelassen hatte. Sie unterhielten sich nur kurz. Bumford vollführte einige übertriebene Armbewegungen und beendete das Gespräch mit einem lässigen Achselzucken.
Linc flüsterte mit einem schwerfälligen, arabisch klingenden Akzent: »›Professor Bumford, haben Sie von Ihren Leuten irgendetwas gehört?‹« Dann verlieh er seiner Stimme einen affektierten, näselnden Klang. »›Ich habe keine Ahnung, was mit ihnen geschehen ist … Gewiss haben Sie sich mit Ihrer Universität in Verbindung gesetzt und sie als vermisst gemeldet … Das fällt nicht in meinen Verantwortungsbereich. Ich bin nur als Berater mitgekommen … Aber machen Sie sich keine Sorgen wegen ihnen? Sie sind schon mehrere Tage überfällig … Das ist nicht mein Problem.‹ Und Abgang tunesischer Regierungsvertreter nach rechts.«
Lincs Pantomime und Prophezeiung trafen auf den Punkt zu. Bumford dachte keine Sekunde über das Gespräch nach, sondern vertiefte sich sofort wieder in sein Buch.
Sie warteten weitere zwanzig Minuten, bis im Camp Ruhe eingekehrt war. Das eingeborene Personal war nirgendwo zu sehen, daher verließ Linc ihr Versteck und suchte sich einen Weg zur Rückseite von Bumfords Zelt. Er holte ein Messer aus einer Tasche seines Overalls. Es war ein Emerson CQC-7A. Die Klinge war so scharf, dass sie, als er den Nylonstoff aufschlitzte, kein lauteres Geräusch verursachte als ein Messer, das durch Butter schneidet.
Lautlos betrat er das Zelt und ging zum Eingang. Bumford wandte ihm den Rücken zu, war weniger als dreißig Zentimeter von ihm entfernt und bemerkte nicht, dass ihm jemand über die Schulter blickte. Linc sah zu Linda hinüber, die hinter Fässern kauerte, in denen der Treibstoff für den Generator des Camps gelagert wurde. Sie hob eine schlanke Hand, um Linc zu warnen, während einer der Köche auf dem Weg zum Plumpsklo die kleine Zeltstadt durchquerte. Sobald er verschwunden war, ballte Linda die hochgehaltene Hand zur
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